Texte - Reden

Einführungsreden, Katalogtexte
1. Dr. Angelika Hille-Sandvoß, Kunstverein Jülich, 2019

2. Jürgen Jaissle, Galerie SK Solingen, 2017

3. Dr. Dirk Tölke, FFFZ Düsseldorf, 2014

4. Dr. Angelika Hille-Sandvoß, Versandhalle Grevenbroich, 2014

5. Ein Interview von Gottfried Bohumil mit der GfBH, Düsseldorf 2006

1. Dr. Angelika Hille-Sandvoß, Einführung anlässlich der Ausstellung MALEREI! im Kunstverein Jülich, 2019

Rede zur Eröffnung der Ausstellung „Malerei!“ mit Bildern von Petra Dreier und Michael Hanousek im Hexenturm in Jülich am 11. Oktober 2019

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

wie schön, dass Sie alle sich haben verführen lassen, zu dieser besonderen Ausstellung hierher in den Hexenturm zu kommen. Malerei mit einem Ausrufezeichen hat Sie eingeladen und nun sehen Sie Bilder eines Paares, das gemeinsam Kunst schafft und das seit vielen Jahren. Der Untertitel auf der Einladungskarte verweist auf „3 Jahrzehnte dialogisch malerischen Diskurs“, womit die Arbeitsweise der beiden sehr präzise beschrieben wird. Beim malerischen Prozess beginnt einer oder eine der beiden und der oder die andere fährt fort und setzt damit den künstlerischen Dialog in die malerische Tat um. Der Austausch darüber, wie es beim aktuellen Bild konkret weitergehen könnte, ist Teil des Prozesses, bei dem ein Bild entsteht. Der Betrachter soll nicht erkennen können, wer welchen Teil gemalt hat, weil das fertige Gemälde tatsächlich und buchstäblich ein Gemeinschaftswerk ist, auch wenn viele Bilder noch durch eine Linie geteilt erscheinen und der künstlerische Ausgangspunkt anschaulich ist. Aber wer für präzisere oder eher diffuse Partien die Verantwortung trägt, spielt für die ästhetische Dimension der Bilder keinerlei Rolle.

Wir sehen hier zwei zentrale Sujets von Petra Dreier und Michael Hanousek: Köpfe und amorphe Landschaften.

Wenden wir uns zunächst den Köpfen zu. Vielleicht erinnern sich einige von Ihnen noch an den alten Werbespruch der FAZ: „Dahinter steckt immer ein kluger Kopf“. Für mich bringt es dieser alte Slogan sehr gut auf den Punkt, wofür der menschliche Kopf steht – als pars pro toto, als Teil für das Ganze. Der Kopf macht den Menschen und wer ein spezifisches Porträt zeichnen will, kommt meist mit der Darstellung des menschlichen Hauptes aus. Am Kopf, am Gesicht erkennen wir einen individuellen Menschen wieder- was Arme und Beine nicht gleichermaßen leisten können.

Aber die Köpfe in unserer Ausstellung sind keine klassischen Porträts, die nach einer oder mehreren Sitzungen angefertigt wurden und nach größtmöglicher Ähnlichkeit mit der dargestellten Person streben.

Die erste Inspiration für diese besondere Malerei stammt aus der Beschäftigung mit Porträts von schizophrenen Patienten. Um ihre spezielle Störung ausdrücken zu können, wurde die Idee des geteilten Porträts entwickelt. Aber dabei ist es nicht geblieben: die Köpfe, die danach entstanden, streben keinerlei Porträtähnlichkeit mehr an. Es geht vielmehr um eine malerische Diskussion der menschlichen Erscheinung ganz generell. Dazu werden Überzeichnungen, Tarnungen, Verkleidungen oder regelrechte Maskeraden eingesetzt, hinter denen der individuelle Mensch nachgerade verschwindet.

Deutlich wird dies bei Bildern, die z.B. den Titel „Joker“ tragen. Der eigentliche Kopf scheint hinter einer Fülle von unterschiedlichsten Attributen zu verschwinden – Symbole für die vielfältigen Möglichkeiten menschlicher Entwicklung, die unsere hochtechnisierte Welt auch für das menschliche Individuum bereithält. Da können Chips unter die Haut implantiert werden oder zusätzliche Instrumente auf dem Kopf die Kommunikationsmöglichkeiten erweitern. Das Zerrbildhafte dieses Schädels deutet an, dass diese Entwicklung nicht nur positiv gewertet werden kann, auch wenn ein lichter Hintergrund und eher zarte Partien auch eine optimistische Perspektive aufscheinen lassen.

Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf das Thema der „Amazone“ lenken. Ursprünglich entstammen die mythischen Amazonen einem kriegerischen Frauenvolk aus Asien und haben die männliche Phantasie nachhaltig beflügelt und reichen Niederschlag in der Kunst- und Literaturgeschichte gefunden. Die Faszination beruht auf dem Kontrast von traditionellem Frauenbild mit „typisch“ weiblichen Attributen wie Sanftmut und Weichheit und dem martialischen Auftreten der Kriegerinnen. Aber gilt das auch noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts, in dem Soldatinnen in vielen Armeen ganz alltäglich sind, in dem jungen Frauen und Mädchen ganz selbstverständlich sicheres und selbstbewusstes Auftreten vermittelt wird? Gerade um diese Fragestellungen kreisen die Köpfe von Dreier und Hanousek, weil die Malerei die wunderbare Möglichkeit hat, keine eindeutigen Antworten vorzugeben, sondern auch den Betrachter zum Dialog mit dem Bild einlädt. Die Attribute auf den Bildern lassen Raum für eigene Deutungen, für Weichheit und Kraft, für ein neues Frauenbild, das Stereotype der Vergangenheit hinter sich lässt. Und dass diese Bilder von einem Mann und einer Frau gemeinsam entwickelt wurden, ist nur eine zusätzliche Dimension in der Auseinandersetzung der Geschlechter. Dabei hat das Künstlerpaar nie interesseiert, ob es typisch weibliche oder typisch männliche Malerei überhaupt gibt – nein – nur gute oder weniger gelungene Bilder!

Lassen Sie mich noch einmal auf den Titel der Ausstellung zurückkommen: Malerei mit einem Ausrufezeichen. Das hat mich sofort gepackt. In unseren Zeiten, in denen Bilder, Fotos allgegenwärtig sind, in denen banalste Alltagssituationen im Bild festgehalten und sofort mit „Gott und der Welt“ geteilt werden, ist es für mich zu einer Entwertung von Bildern gekommen. Ich frage mich immer häufiger, wer sich eigentlich diese Überfülle ansehen soll und welchen Eindruck sie auf den Betrachter machen. Vermutlich kaum einen, weil das Überangebot sofort durch die nächste Flut überholt wird. Was bleibt also? Die bewusste Hinwendung zu einem ganz anderen Medium – der Malerei. Die Vielschichtigkeit, die verschiedenen Sichtweisen und die Einladung zum Dialog, zur Auseinandersetzung mit dem Bild und seinen Inhalten machen Malerei zu einem nachdrücklichen, nachhaltigen Erlebnis. Dem gemalten Bild fehlt die Eindeutigkeit und das macht es so reizvoll – auch noch Jahre nach der Entstehung oder dem Erwerb durch einen Käufer.

Aber kommen wir nun auch wieder zu konkreten Bildern – den „Territorien“ und ihren illusionären und amorphen Formen. Auch hier findet sich die für Dreier/Hanousek typische Arbeit mit ganz unterschiedlichen Strukturen. Die große, allgegenwärtige Zersplitterung unserer gesellschaftlichen Gegenwart, aber auch die Realitäten unseres Informationszeitalters mit ihrer Überfülle an Botschaften für jeden Einzelnen sind Gegenstand der Malerei. Sie wird als Versuch verstanden, die unterschiedlichen Systeme zusammenzubringen.

Für das Malerpaar ist die Natur, sind reale Landschaftsausschnitte die Basis dieser Bilder. In einem aufwändigen Abstraktionsprozess wird jede naturalistische Ähnlichkeit getilgt, bis nur noch Fragmente des ursprünglichen Bildes oder Fotos erkennbar sind. Dies gelingt durch die Schaffung verschiedener räumlicher Ebenen, so wechseln sich flächige und stärker strukturierte Schichten miteinander ab; eine Art gemalter Collage. Am Beginn eines Bildes steht oft ein Impuls, der seinen malerischen Ausdruck findet, aber dann vielfach übermalt wird. Malerei wird auch als Möglichkeit verstanden, nach Grenzen in jeder Form zu suchen, um sie aufzuheben.

Insofern existiert ein enger, innerer Zusammenhang zwischen den Köpfen und den Territorien, denn die Köpfe können als eine Art Territorium gedeutet werden, ohne dass sie tatsächliche Gesichtslandschaften sind.

Ich lade Sie jetzt ein, diese Bilder selbst in Augenschein zu nehmen. Das Künstlerpaar freut sich auf anregende Gespräche mit Ihnen.

 

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

 

©Dr. Angelika Hille-Sandvoß

 


2. Jürgen Jaissle, Einführung anlässlich der Ausstellung EIN ORT - KEIN ORT in der SK Galerie Solingen 2017

 

EIN ORT – KEIN ORT, AUSSTELLUNGSERÖFFNUNG 18.6.2017

VORBEMERKUNG JÜRGEN JAISSLE

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Ein provokanter Titel dieses Werkezyklus: EIN ORT – KEIN ORT. Als würde einem der Boden unter

den Füßen entzogen werden und würde man sich als Schwere-loser jenseits der Erdanziehung in

einem endlosen Raum wiederfinden. Verloren der Boden des Halts und die vertraute Umgebung. Wo

doch der Ort, der Raum, wie die Zeit uns Koordinaten zur Orientierung geben und das Maß unserer

Identität. EIN ORT – KEIN ORT, keine Prämisse für einen flüchtigen Zugang, keine Leichtigkeit des

Seins, kein Versprechen einer Wohlfühl-Kunst. Aber, vielleicht ein Gewinn? Doch und gerade deshalb

der Versuch einer Vorbemerkung. Von einigen Gedanken möchte in drei kurzen Passagen erzählen,

von einem Bild, dem hier versammelten Oeuvre und den beiden Künstlern.

Um wieder Orientierung für das Werk von Dreier und Hanousek zu finden, die als Künstlerpaar im

malerischen Prozess sich durch eine gemeinsam geschaffene Arbeit ausdrücken, ein Blick vorab auf

das Bild ‚Bohrung‘, das Sie mit einem Ausschnitt zu dieser Ausstellung eingeladen hat: Horizontale

Linien dominieren die Acrylmalerei, die zur asketischen Pointierung in der linken Bildhälfte zwei

Farben lanciert, das warme Gelb, als wollte sie das Sonnenlicht hereinbitten, und das kalte Violett, das

Geist und Spiritualität paraphrasiert, während das Werk sich großflächig mit changierenden Grautönen

exklusiv macht. Wie Injektionsnadeln unter die Haut dringen Rohre vom linken Rand in das Bild und

tauchen in dunkle, geglättete Materie ein; man hört förmlich das Quietschen der Rohre, das Knacken

des Gesteins und das Fluchen der Arbeiter. Zwischen und oberhalb der beiden Zylinder-Bündel eine

schwarze Substanz wie Schiefer oder Öl, die rau und wild in das Bild wogt, als wollte sie die

technischen Eindringlinge fliehen. - So stoßen zwei Sphären in zwei Welten aufeinander, in der realen

Welt die von Technik und Natur im Akt einer Bohrung, vermeintlich nach Öl, in der künstlerischen Welt

die zweier Mal-Talente im Akt einer Bildschöpfung. Damit wir uns aber nicht zurück auf sicherem

Terrain glauben, opponiert das Sujet des Bildes gegen unsere traditionelle Vorstellung, Bohrung sei

eine vertikale Technologie, und führt uns eine horizontale Alterität vor Augen. - Wieder beginnen wir

Halt zu suchen. Den finden wir im Bildaufbau und der Bildsprache, die das Eindringen der Technik in

die Natur aus unserer Sicht von der 2 linken Bildseite komponiert, dem klassischen Kulturphänomen,

die Spieler auf die Bühne von links auftreten zu lassen. Analog unserer Schreib- und Lesekultur.

Wobei vom Ort des Bildes oder der Bühne betrachtet, diese natürlich die rechte ist, die zur

gewichtigeren, ja positiven Seite sich entwickelte. Was auch in unsere Sprache heimisch wurde, wie in

der Redensart, er ist seine rechte Hand, oder im Glaubensbekenntnis, er, Jesus, sitzen zur Rechten

Gottes.

Die zentralen, in der hiesigen Ausstellung versammelten Werke gehören zur Werkgruppe ‚Territorien‘,

die sich mit abstrakten, zerstörten Landschaften auseinander- setzt. Ihre Titel - Fracking, Soffwechsel,

Ionisierung, Territorien 22, Raffinerie, Niemandsland, Neuvermessung 1 und 2, Höhenflug, Tuffmose

oder eben Bohrung –, ihre Titel ordnen die Bilder spezifischen Vorgängen dieser Unterwerfung der

Erde zu, wie bei einer Bestandsaufnahme des großen Themas Mensch und Umwelt. Die malerische

 

Ästhetik hält mit kantigen Strukturen und gestaltlosen Flächen die Angriffe des Menschen auf die

Natur bildlich fest, wie in Farbe getrocknete Statements. Im Dualismus des Titels ‚Ein Ort – Kein

Ort‘ schwingt das Prozessuale mit, die Ambivalenz und Dynamik einer Entwicklung, von der man nicht

weiß, ob aus dem Ort, dem Topos, eine Utopie oder ein Unort, eine Dystopie, erwächst, ein wunderbarer

Zukunftstraum oder eine schreckliche Apokalypse, in der eine Überzahl Menschen eine

geplünderte Erde bevölkern, Ergebnis einer imperialen Lebensweise, befördert von uns Ignoranten,

von uneinsichtigen Klima-Gentrifizierern und gierigen Investoren. Doch gerade der Ort im Sinne von

Heimat bleibt grundlegend für die Identität des Menschen. Lernen wir nicht im Sprachunterricht als

eine der ersten Phrasen ‚Ich heiße Hans und komme aus…‘ und fragen wir nicht bald im Gespräch mit

einem Unbekannten ‚Woher kommst Du?‘. Sicher ist es legitim, von den tektonischen Verschiebungen

der Mutter Erde durch die in den Bildern thematisierten und künstlerisch gestalteten Eingriffe oder

Missbräuche der Menschen auch auf die Umbrüche und Verwerfungen in unseren Gesellschaften

selber zu schließen.

Man würde aber die Immanenzen des Paar-Dialogs und die Arbeiten von Dreier und Hanousek

missverstehen, würde man sie allein einer Schwarz-Grau-Weiß-Malerei anheimstellen. So wie die

Injektionsnadel in unserem Körper sowohl das Gift des Fixers als auch die Infusion des

Chemotherapeuten transportiert, so kann das Bohrgestänge einen fossilen Brennstoff, aber auch das

Wasser als Quelle des Lebens fördern. Es sind Bilder des Ringens um diese existentiellen Fragen, die

dennoch bei allen Grautönen einer dialektischen Hoffnung Raum geben, es sind verunsichernde,

mahnende und doch nicht chancenlose Botschaften zweier kreativer Menschen, die in der Sprache

eines gemeinsamen Bildes diesen Diskurs auch mit uns führen wollen. Petra Dreier und Michael

Hanousek, die als ehemalige Meisterschüler der renommierten Kunstakademie Düsseldorf alle

Facetten ihres Metiers beherrschen, stellen sich und ihre Kunst sehr bewusst auf die Bühne des

Künstlerpaares, das Leben und Arbeit unzertrennlich miteinander verknüpft. Was Disziplin, Toleranz

und Dialogkompetenz voraussetzt. Ein ernstzunehmender Dialog, ein auch kontroverses

Zwiegespräch zweier Personen, nicht wie der so genannte Dialog in sozialen Medien, der nur das

Monologische kaschiert. Die beiden Künstler machen es nicht leicht, uns in ihren Dialog mit zunehmen,

ihre Botschaften zu dechiffrieren, selbst die der musikalischen Exegese am heutigen Tage. Doch wir

werden reichlich entlohnt, wenn wir uns darauf einlassen. Das Ergebnis ihrer Reflexionen kulminiert in

ihrer Malerei: das gemeinsame Bild ist ein Dialog in Acryl.

Zur Vergewisserung ihres, wie sie es selber formulieren, ‚kunstidealistischen Ansatzes‘ haben sie sich

früh als Gemeinschaft für Bild-ErHalt / GfBH geoutet, nicht nur programmatisch mit dem titelgebenden

Bekenntnis zur Priorität des Bildes, sondern auch mit einem Gründungsdekret, sich gegen die

visuellen Tsunamis, gegen fremde Zweckbestimmungen und gegen wirtschaftliche Indienstnahmen zu

positionieren. BildErHalt wird zum Haus einer ungewöhnlichen Symbiose. Wobei, wenn ich das

anfügen darf, im Wort BildErHalt mit seiner zwischen Groß -und Klein wechselnden Schreibweise der

Großbuchstabe bei Er aus der genderpolitischen Perspektive überrascht. Der humanistische wie

soziale Anspruch einer verantwortlichen Welt findet nicht nur in ihren künstlerischen Arbeiten

Ausdruck, sondern auch in ihrer Lebenspraxis. Neben ihrer eigenen künstlerischen Arbeit bringen sie

 

ihre Kreativität und Kompetenz mit Erfolg auch in die Arbeit mit Dritten ein: in die von Outsider-Art, die

ihre erste anerkannte Gestalt in der Art Brut in den Nachkriegsjahren gefunden hatte, in die Arbeit also

mit psychisch kranken Menschen in inklusiven Projekten mit der Duisburger Sozialpsychiatrie und im

lernenden Dialog in ihrer Malschule sowohl mit Erwachsenen wie mit Kindern.

Ende gut, alles gut? So hoffe ich, Ihren eigenen Blick auf die Werke in den schönen Räumen der SK

Galerie durch meine Vorbemerkung nicht verstellt zu haben. Und seien Sie versichert, Sie wären nicht

die ersten, die bei intensiver Betrachtung der Bilder auch nach den unsichtbaren Demarkationslinien ,

dem weiblichen oder männlichen Teil des Bildes, dem Dreier oder Hanousek - Aspekt, der Frage, wer

denn zuerst ma(h)lt und wer zuletzt lacht, unbemerkt forschen wollten. Doch womöglich machen Sie

dabei eine ganz andere Entdeckung, dass sich nämlich in jedem einzelnen Bild auch eine leise

 

Liebeserklärung an die Malerei versteckt.


3. Dr. Dirk Tölke, Einführung anlässlich der Ausstellung  "Über die Jahre" im FFFZ Düsseldorf 2014

Dialogkunst

Petra Dreier und Michael Hanousek

 

„Über die Jahre“ ist die Ausstellung im Düsseldorfer FFFZ (29.8. – 10.10.2014) betitelt, d.h. es ist thematisch die Zeit gemeint, die eine Paarschaft von Künstlern miteinander verbringt und die währenddessen das Schaffen verändert. Das ist in der Kunst gar nicht so häufig anzutreffen. Seit 1985 gab es in Bern eine Ausstellungsreihe von Sandor Kuthy zu Künstlerpaaren (Jackson Pollock und Lee Krassner, Robert und Sonja Delaunay, Hans Arp und Sophie Täuber-Arp, Josef und Anni Albers, Camille Claudel und Auguste Rodin ...), an der man sehen konnte, dass Individuen miteinander wohnen und nur teilweise in der Reflexion ihrer Werke miteinander reden und sich symbiotisch abstimmen. Es gab Fälle von Ausbeutung und von Unterstützung in je eigenständigen Oeuvres. Das hat inzwischen ganz andere Formen angenommen und trotzdem bleibt es ungewöhnlich. Es gibt Arbeitsgruppen von Künstlern wie Die Brücke, Blauer Reiter, De Stijl oder Abstraction-creation,, die dann bis zu persönlichen Schwierigkeiten, Rivalitäten oder neuen Zielsetzungen zusammenhalten, was häufig nur wenige Jahre ausmacht. In einer Beziehung, die dann sehr viel fester ist, gibt es unterschiedliche Formen der Bindung und des Verlaufs. Es gibt homosexuelle Paare wie Gilbert und George, bei denen die Zusammenarbeit ungewöhnlich dicht und gemeinsam ist, die sich aufeinander einstellen. In Ehegemeinschaften bleibt das Einzelschaffen meist parallel unabhängig und es gibt vereinzelte Wechselbeziehungen und formale Einflüsse durch die Gemeinsamkeit. In dieser Ausstellung finden sich aber nun Ansätze, eine gemeinsame Arbeit zu gestalten, bei der ein Werk von zwei Händen bearbeitet wird und kein Original eines Künstlers oder eine eigenständige Partie des Werkes mehr herauslösbar ist. Es gibt keine Einzelleistung mehr, was mitunter eine Schwelle darstellt, da eine hohes Bedürfnis nach Unterscheidbarkeit besteht. Bei Paaren besteht außerdem der Verdacht, dass einer der beiden aus Rollenmustern oder Altersgründen ins Hintertreffen gerät. Das mag die Akzeptanz solcher Gemeinschaftswerke auch im Kunstmarkt erschweren. Eine Werkstattarbeit wird geringer geschätzt als ein Künstlereinzelstück. Meist wird vergessen gemacht, dass Künstler Zuarbeiter haben, auch Rembrandt und Rubens gelegentlich nur noch signiert haben und manche Arbeiten ohne die Zusammenarbeit mehrere Gewerke überhaupt nicht entstehen würden. Nur im Filmabspann hat sich eine Tradition entwickelt, jeden Beteiligten zu nennen.

Der Volksmund macht über den Satz „Viele Köche verderben den Brei“ die Zusammenarbeit eher verdächtig und das zeigt, wieviel Vorbehalte gegen solches heute als Teamwork eher gehyptes Handeln bestehen. Inzwischen gibt es auch Versuche größerer Gruppen, Abstimmungsmodi zu entwickeln, etwa  für gemeinsame Rauminstallationen. Braucht es einen Dirigenten, der überwacht und verhindert, dass Hinzusetzungen und Wegnahmen den Ansatz anderer Künstler verändern? Ist derlei nur eine Variante von Zufallsstrukturen? Die Möglichkeiten und Grenzen solcher Gruppenhandlungen ohne Skript oder in Dauerkommunikation werden gerade erprobt. (Künstlerkollektiv „Magicgruppe Kulturobjekt“ - Ludwig Forum für Internationale Kunst, Aachen 3.3.–29.4.2012).

Partnerschaftliche Gemeinschaftswerke sind hingegen auch persönlich schwieriger, weil sie ein Einlassen aufeinander notwendig machen und in jeder Pinselsetzung quasi als Machtspiel begriffen werden könnten. Zwei Beispiele sind nun hier gezeigt: einmal Petra Dreier und Michael Hanousek, deren gemeinsames Werk inzwischen auch eine öffentliche Form bekommen hat durch die Gründung einer GfBH, einer Gemeinschaft für BildErHalt. Im Falle von Franziska und Sophia Hoffmann handelt es sich um ein Geschwisterpaar. Zwei unterschiedliche Varianten an Grundkonstellationen, die sich auch in den Werken ausprägt. Im Falle der Geschwister ist es eine Kooperation und in der Gemeinschaft Dreier-Hanousek handelt es sich um eine Dialogkunst, die sich aufeinander einlässt und einstimmt.

 

Das Thema der Zeit, der Entwicklung, der Zeit, die man braucht, um ein Werk herzustellen, interessiert das Paar Petra Dreier und Michael Hanousek. Gemeinsame Arbeiten gibt es seit 1989 und die Gemeinschaft GfBH gründeten sie 1997. In ihrem Ansinnen gemeinsam auf einem Leinwandträger zu arbeiten hatten sie mit verschiedenen experimentellen Phasen zu tun. Zu Anfang machte jeder ein Bild für sich und man arrangierte die Bilder zueinander, als Mischformen machte der eine Fotos, der andere Malerei, wobei beide beides können. Dann gab es mittig geteilte Werke, bei denen jeder eine Hälfte zu bearbeiten hatte und es um die Vereinbarkeit der Grenze ging. Im gemeinsamen Tun ist dieses Zusammenwirken und die Kenntnis des künstlerischen Denkens des Anderen immer intensiver geworden. Dann hat mit einem gewissen Element der Selbstüberlistung das Internetangebot und Bildbearbeitungsprogramme geholfen, insofern durch Collage digitaler Fragmente etwas zusammen zu arrangieren war. Dennoch ist es ein für beide spannender Prozess geblieben, weil er nicht voraussehbar ist. Durch die lange gemeinsame Arbeit und eine gemeinsame Intention entwickelte sich es eine Art Einverständnis, die es nicht nötig machte, etwa eine Farbpalette vorher festzulegen, sondern sie ergab sich ohne größere Konflikte beim Erwirken der Komposition. Es geht eben nicht um ausbooten oder gewinnen und auch nicht um adaptives Malen oder anpassendes Fälschen der Machart des Anderen. Unter derartigen Aspekten wird die Arbeiten nicht tragfähig und nicht von echter Spannung durchtönt. Entstanden und wirkungsvoll geworden ist ein gemeinsames Intendieren auf einem Leinwandträger oder Fotopapier, dass sicherlich erst durch Zeit „über die Jahre gewonnen werden kann oder in einem resonanzhaften Gleichklang oder einer Akkordharmonie begründet ist, die eine Beziehung langlebig macht. Im Verlauf dieses Prozesses geht es dann natürlich um die Formwahl, um die Entscheidung, ob man herausfordern oder Harmonie in der Zusammenfügung der Elemente erzeugen möchte.

Was nun in der Ausstellung an Fotos und Gemälden zu sehen ist, sind eigentümliche Gefügeräume und Assoziationsräume, in denen Bildgegenstände protolandschaftlich zusammengebracht sind. Diese sind, was die Malerei betrifft, reine Malerei, weil es nicht um ein Thema geht, noch nicht mal besonders um eine Art Stimmungsbild, obwohl bestimmte Atmosphären durch die Farb- und Formbildung entstehen,. Sondern es sind Räume, in denen die klassischen Malereiprobleme Farbe, Form,. Raum, Licht da sind, mit denen man sich beschäftigen muss, da man sie nicht löschen kann.

Es sind frei Gefüge, die auch nicht mehr unter den Partnern geteilt sind. Es ist auch nicht einer für Fotografie und der andere für Malerisches, der eine fürs Grobe und der andere für das feine zuständig. Gegen die Erwartung, dass Männer eher für das Grobe stünden, ist es hier gerade umgekehrt. Es ist natürlich ein Gemisch, eine Collagewelt von Grobem und Feinem, Hell und Dunkel, Groß und Klein. Häufig handelt es sich um Formsegmente, die Teile von etwas sind, die durch Löschung und Übermalung entstanden sind. Wenn man näher herantritt, wird an  an der Dicke der Farbschicht sichtbar, wie gerungen wurde. Bei manchen Werken wurde erst nach zwei Jahren die Lösung für eine unbefriedigende Sequenz des Bildes gefunden, bzw. der Mut aufgebracht, radikal einzugreifen. Daran erkennen auch die Künstler: Das Auge ist weiter, als der Kopf. Man spürt im Sehbaren eine gewisse Unzufriedenheit, weiß aber noch nicht, wie man eingreifen müsste, dass es passt. Ein Assoziationskeim, ein Vorbild mag dabei Auslöser sein, aber man braucht eben den Sprungmut. Es macht den Eindruck, dass man als Paarmaler viel mehr verwirft, als man das als einzelner Künstler täte und der Prozess hat eine andere Intensität des Ringens, bei der zwei Intentionen zusammenlaufen müssen, die eine gemeinsame Leitlinie in der Gestaltung und Raumauffassung verfolgen.

Oberflächlich könnte man den Eindruck haben, das sei collagiertes Bildgeschnipsel , bei näherem Hinsehen merkt man, dass durchaus sehr kalkuliert ausgewählte Elemente, quasi ein Formvokabular Anwendung fand, mit gelegentlich figürlichem Zusammenführungscharakter.

Die Darstellungen sind nicht surreal, phantastisch oder Ausschnitte einer Traumlandschaft, sondern durchaus nüchtern Malerei. Es geht darum, Bilder zu schaffen, die neu sind, etwas von der gegenwärtigen Zeitstimmung transportieren und die Spannungsgeladenheit nutzen, die eine Paarbeziehung aufrecht erhält.

Was beide Künstlergruppen verbindet ist der Blick auf und das Erspüren von Umbruch, von ungeklärtem Zustand der Bildwelt, bei der die Malerei zurückgedrängt wird gegenüber dem bewegtem Bild, Film und Werbung. Es wird schwieriger, die Kultur und Bildungswelt in einer verschwindenden Mittelschicht und Bürgerschaft weiter aufrecht zu erhalten. Die Globalisierung schüttet einen zu und vernichtet Kulturen. Die Antwort der Künstler ist nicht eine apokalyptische Darstellung, eine chaotische Bildüberflutungscollage, die andeutet wie schrecklich es sei, das alles nicht mehr sortieren und einordnen zu können. Sie sortieren es in einer Art vorläufig stimmiger Ablage. Sie finden eine herausfordernde Art der Malweise, die in keine der üblichen Kategorien passt. Es ist weder Landschaft, noch Bühne, d.h. kein Tiefenraumarrangement, noch ist es nur abstraktes Formspiel, auch nicht phantastisch und erzählerisch. Es bildet einen eigentümlich trudelnden Raum, in dem die Elemente zu schweben oder zu driften scheinen. Die Schichtung der Elemente, die durch das Durchscheinende das Werden und das Prozesshafte des Gefüges noch sichtbar machen, hat eher die Anmutung eines flüssigen Gels, in dem die Dinge nach vorn oder hinten treiben. Kaleidoskopartig wäre schon zu dekorativ und ornamental organisiert. Derlei Ordnungsschemata sind unterlaufen ohne chaotisch zu wirken. Durch lange erprobte Kompositionserwägungen und Hell-Dunkelverteilungen ausgewogen, bleiben die eigentümlich geologischen und atmosphärischen Elemente, die auftauchen, im Fluss. Heraklits Panta rhei – alles fließt. Ordnung als Floss im Strom der Zeit gestaltet?

Was in der Malerei erschaffen wurde, bekommt sein Pendant in der Fotografie, die manchmal als Bildelement oder als Skizze dient. Häufiger werden Fotos von Segmenten der Gemälde und ihren frei malerisch gestalteten Formwelten eingebunden. Im ersten Moment hat die Komposition eine gewisse Glaubwürdigkeit als Bühnenraum, bei näherem Hinsehen stellt sich Uneindeutigkeit ein. Was gut funktioniert und abgewogen wirkt, sind Fokusfelder und Schlüssigkeiten an einzelnen Segmenten und Übergängen, aber nicht im Ganzen. Das ist wieder ein Erfahrungsbild dafür, das man in dieser Welt einzelne Dinge kapiert und beherrscht und Gefüge stimmig machen kann, aber anderen nicht. Neben der guten Stube gibt es auch noch die Rumpelkammer, die man lebenslang mitschleppt.

Dieses Gemisch, dies floaten und Gleichzeitige von Geklärtem und Ungeklärtem und die Offenheit für eine Welt, in der Widersprüchlichkeit der Normalzustand ist, das ist der Wahrnehmungshintergrund für das, was wir in diesen Bildern sehen, die den einzelnen aufgrund der Farbe oder Formwelt neugierig machen, um darin einzutauchen und auf persönliche Resonanz stoßen mögen.

 

 Dirk Tölke


4. Dr. Angelika Hille-Sandvoß, Einführung anlässlich der Ausstellung  "entlegen" Grevenbroich, 2014

                                                                                           

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Frau Dreier, lieber Herr Hanousek,

 

Die Kunst- und Kulturgeschichte kennt einige Paare, die mehr oder weniger spannungsvoll im gleichen Metier künstlerisch tätig waren. Oft beherrschte der Konkurrenzgedanke die Arbeit, musste die Eine zurückstecken, damit der Andere sich entwickeln konnte. Dass dies aber auch ganz anders laufen kann, zeigt der gemeinsame Arbeits- und Lebensweg des Paares, dem die heutige Ausstellung gewidmet ist. Seit der Ausbildung an der Düsseldorfer Kunstakademie, die beide als Meisterschüler abgeschlossen haben, sind sie im Leben ein Paar und arbeiten auch als solches künstlerisch, das heißt, dass sie tatsächlich miteinander an ein und demselben Objekt zu arbeiten bereit sind.

 

Diese besondere Kooperation hat sich über die Jahre hinweg entwickelt. Zu Beginn waren die Leinwände mitunter zweigeteilt, jeder/jede hat „ihren/seinen“ Teil gemalt, immer in Korrespondenz mit den Spuren, die der Partner, die Partnerin hinterlassen hatten. Aber nach dieser Phase sind die beiden einen Schritt weiter gegangen und haben die gesamte Malfläche zur Bearbeitung freigegeben. So hat Petra Dreier beispielsweise mit dem Malen begonnen und ab einem gewissen Zeitpunkt das Bild zur weiteren Bearbeitung durch Michael Hanousek „freigegeben“, der dann das Malwerkzeug quasi an sie weitergereicht hat. Den Endpunkt der Arbeit legt die Ästhetik fest; wenn das Paar keine weitere Entwicklung mehr voraussieht und mit dem Erreichten zufrieden ist. Damit ist der Prozess beendet. Die künstlerisch wechselseitige  Partizipation ist zum Markenzeichen des Künstlerpaares geworden, ja nachgerade zu einer Art „Alleinstellungsmerkmal“ in der Kunst, denn ich kenne kein zweites Paar, dem dies über einen längeren Zeitraum überzeugend geglückt ist.

 

Diese Art der besonders intensiven Kooperation lässt beim Betrachter natürlich die Frage aufkommen, wo denn der unverwechselbare, persönliche Anteil bleibe. Ob man im fertigen Bild die „weiblichen“ und „männlichen“ Anteile aufspüren könne. Ich denke, dass dies vielleicht nur noch den beiden Urhebern gelingt, aber auch dass diese Frage im Grunde falsch gestellt ist. Im abgeschlossenen Bild kann nicht nach femininen oder maskulinen Einflüssen unterschieden werden, denn nur das Gesamtergebnis ist von Interesse.

 

Doch nach so vielen Vorüberlegungen lassen Sie uns nun konkret auf einige der hier ausgestellten Bilder schauen. Das Doppelbild mit dem Titel „Flurstücke 7“ dokumentiert noch die frühe Malweise des Paares. Ihnen beiden standen zwei Leinwände zur Verfügung, die individuell, aber doch auch korrespondierend bemalt wurden. Auf der linken Leinwand dominieren eher strukturierte Flächen, auf denen Pinselspuren für farbige Akzente sorgen. Dagegen antwortet die andere Leinwand mit stärker flächigen Abschnitten, die Strukturen scheinen an den oberen Bildrand gedrängt. Der Titel „Flurstücke“ verweist auf den Ausgangspunkt des Bildes, damit wird an die offizielle Bezeichnung von Landschaft und Natur und an die Vereinnahmung durch den Menschen erinnert. Wiesen, Felder und Wälder sind nicht einfach nur „Natur“ sondern werden Besitzern zugeordnet, die daraus ihren Nutzen ziehen. Aus diesem Kontext wird die Natur hier ganz bewusst befreit.

 

Für das Malerpaar ist die Natur, sind reale Landschaftsausschnitte die Basis seiner Bilder. In einem aufwändigen Abstraktionsprozess wird jede naturalistische Ähnlichkeit getilgt, bis nur noch Fragmente des ursprünglichen Bildes oder Fotos erkennbar sind. Dies gelingt durch die Schaffung verschiedener räumlicher Ebenen, so wechseln sich flächige und stärker strukturierte Schichten miteinander ab; eine Art gemalter Collage.

 

Gut ablesbar ist dieses Verfahren im Bild „Territorium 9“. Details aus diesem Bild zieren die Einladungskarte und haben Sie heute hierher „gelockt“. Der Gesamteindruck des Kunstwerks lässt einerseits an eine Meereslandschaft denken, birgt aber andererseits auch architektonische Fragmente. Die dunklen Flächen in der unteren Bildhälfte sind recht flüssig bis pastos gemalt, scheinen die an Röhren erinnernden Elemente in sich einzusaugen, während die obere Bildhälfte lichte, wenn auch stärker strukturierte Areale aufweist. Gegen die untere Schwere scheint sich nach oben der Himmel zu öffnen.

 

Turbulenteres geschieht auf einem anderen Bild: „Territorium 5“. Was zunächst wie eine Variation von Wellenlinien wirken könnte, wird durch unterschiedlich strukturierte Flächen aufgebrochen. Fragmente von Häusern stehen in Kontrast zu amorphen Gebilden, die den Blick auf eine tiefer liegende Sphäre zu öffnen scheinen. Darüber hinaus und überhaupt bedeuten die Bilder von Dreier & Hanousek Einladungen an den Betrachter, sich auf emotionale Landschaften einzulassen, alltägliche Realität hinter sich zu lassen und das Abenteuer des Schauens zu genießen. Damit aber dieser Ausflug nicht gänzlich haltlos wird, durchzieht eine kräftige grüne Linie das Bild und bietet sich als Halteseil an, den Sturz ins Bodenlose zu verhindern.

 

Ein weiteres „Territorium“, das die Bezeichnung Nr. 4 trägt, weist eine strengere Aufteilung in Farbfelder auf. Auch wechseln pastose Flächen mit Arealen, die stärker strukturiert sind. Eine mögliche Beliebigkeit wird aber durch kompositorische Elemente verhindert. So durchzieht am linken Bildrand eine strenge Vertikale, die an eine Art Röhre erinnert, das Bild. Mit ihr korrespondiert in der rechten Bildhälfte eine etwas diffuse Senkrechte, die wie in Auflösung begriffen scheint, aber allem zum Trotz eine stabilisierende Wirkung entfaltet. Auch die bewusste Reduktion der Farbpalette, die dem Künstlerpaar Dreier & Hanousek eigen ist, wirkt – bei aller Farbigkeit harmonisierend. Den verbreitet auftretenden Schwarz-Weiß-Kontrasten und den damit verbundenen Grauwerten werden stark farbige Akzente an die Seite gestellt, ohne dass die Bilder „bunt“ oder von „schreiender“ Farbigkeit wären.

 

Dies gilt ebenfalls für „Territorium 2“, das eine kräftige Farbigkeit aufweist und von floralen Motiven geprägt ist. Auch hier findet der aufmerksame Betrachter einen Einblick in eine tiefere Dimension, lädt das Bild zum Erkunden emotionaler Bezirke ein.

 

Neben den malerischen Arbeiten hat das Künstlerpaar aber auch eine zusätzliche Technik als Ausdrucksmedium für sich entdeckt: Die digitale Fotografie. Sie wird – laut Aussage des Künstlerpaares - wie die Malerei eingesetzt, das heißt, dass die Komposition aus digitalen Teilen „arrangiert“ wird. Auch der erste Impuls für ein Bild oder ein Foto ist vorgegeben, wird aber individuell weiter bearbeitet, sei es mit Pinsel und Acrylfarben, sei es mit digitalen Fundstücken. Paradigmatisch sei hier auf das Still-Leben verwiesen.

 

Dieses Sujet ist in der Kunstgeschichte ungeheuer beliebt gewesen, konnten doch Künstler wie Auftraggeber hier prunken und schwelgen. Die dargestellten Kostbarkeiten kündeten vom Reichtum des Besitzers und die Delikatesse der malerischen Wiedergabe von der Kunstfertigkeit des Malers. Aber über die Abbildung der Realität hinaus hatte das Still-Leben noch eine zusätzliche Bedeutungsebene, so konnte diskret und dennoch deutlich darauf verwiesen werden, dass aller Besitz flüchtig und jeder Mensch sterblich sei. Daneben gibt es auch andere „geheime“ Botschaften in diesem Sujet, so verweisen beispielsweise Abbildungen von Brot und Weintrauben oder Trinkkelche auf versteckte Andachtsbilder evangelischer Provenienz.

 

Aber darum geht in unserem Beispiel natürlich nicht, obwohl hier natürlich mehr zu sehen ist als Obst und Blumen, die um eine imaginäre Bildachse gespiegelt werden und zwar in doppelter Art und Weise. Die untere Bildhälfte weist dabei deutlich flächigere Strukturen auf, wirkt malerischer und löst damit ein, was mit dem malerischen Einsatz der Fotografie gemeint war. Die schwerelos erscheinende, beinahe ortlose Platzierung eröffnet zusätzliche Deutungsmöglichkeiten und weist damit weit über alltägliche „Knipserei“ hinaus.

 

Die digitale Fotografie wird aber auch zur Abbildung von Paaren in besonderer Weise genutzt und damit schließt sich der Kreis zur speziellen Arbeitsweise dieses Künstlerpaares. Wenden wir uns dem Doppelporträt „Petra und Michael“ zu, auf dem wir unschwer das Künstlerpaar selbst erkennen. Sie haben in der Bildmitte auf einem Graphikschrank mit vielen Schubfächern Platz genommen. Eine Art violette Treppe führt stufenweise aus einem architektonisch bestimmten Ort mit üppig himmlischem Umfeld über das Mittelfeld in einen offenen Phantasieraum. Damit wird dieses Foto zu einem künstlerischen Manifest der besonderen Art. Ausgehend von dem, was sich in der Realität vorfinden lässt, beginnt ein ästhetischer Prozess, an dem das Paar gleichberechtigt beteiligt ist. Und dieser kreative Arbeitsgang mündet in die Öffnung phantastischer Räume, die dem Laien allein nicht zugänglich sind.

 

Ich lade Sie jetzt ein, diese Räume selbst in Augenschein zu nehmen. Das Künstlerpaar freut sich auf anregende Gespräche mit Ihnen.

 Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

 

©Dr. Angelika Hille-Sandvoß


5. Der Dialog bestimmt die Gangart, oder: ein Künstlerpaar als siamesischer Zwilling?

Ein Interview von Gottfried Bohumil mit der GfBH, Düsseldorf 2006

Dreier & Hanousek „GfBH“ (Gemeinschaft für Bild Er Halt)

 

Gottfried Bohumil (GB): Ihr seid zwei Individuen, präsentiert Euer künstlerisches Ergebnis jedoch unter dem gemeinsamen Label „GfBH – Gemeinschaft für Bild Er Halt“. Es widerstrebt Euch, Euer gemeinsames Zusammenspiel dabei auseinander zu dividieren. Setzt Ihr hiermit nicht den Mythos vom einsamen Künstler als „schöpferisches Genie“ außer Kraft?

GfBH: Jede Zeit erfindet ihre eigenen Worthülsen. Die Existenz der einsamen Elfenbeinturmkünstler ist eine verstaubte Fiktion. Die Einsamkeit war und ist sicher kein exklusives Künstlerschicksal. Wenn es um eine Bildfindung geht, spielt das einzelne ICH nur die Rolle des Ideentransporteurs bzw. des Gestalters. Geniekult und Heldenmythos sind Begriffe, die mit Sehnsüchten zu tun haben, sie sind ohne jegliche Aussage. Uns interessiert vor allem, eine Arbeitsform zu entwickeln, in der sich das Schöpferische gegenseitig ergänzt und potenziert und uns über eigene Grenzen gehen lässt. Es mag einfacher sein, alleine für eine Bildtafel zuständig zu sein, als wenn man gemeinsam an einem Bild arbeitet. Das Bild begreifen wir als ein Gefüge, eine Abfolge von mehreren Teilen, die ein Ganzes bildet.

GB: Hierzu kommen mir folgende Verse von Rainer Maria Rilke in den Sinn:
„Wir ahnten es zwar, doch ist es uns niemals vielleicht so deutlich aufgezeigt worden, dass das Wesen der Liebe nicht im Gemeinsamen läge, sondern darin, dass einer den anderen zwingt, etwas zu werden, unendlich viel zu werden, das Äußerste zu werden, wozu seine Kräfte reichen.“Um damit auf Euch zurückzukommen: Kann es in einem derart engen Zusammenleben und Zusammenarbeiten, wie Ihr es pflegt, genug Freiraum für jeden von Euch geben, um ein individuelles Wachsen nicht zu gefährden, um auszu-schließen, dass der Eine nur das Echo des Anderen bleibt?

GfBH: Voraussetzung ist in erster Linie die Toleranz, den Anderen „lassen“ zu können. Darin liegt die Chance, neue Wahrnehmungsräume zu durchschreiten und eigene Wahrnehmungsräume zu erweitern. Das schöpferische Zusammenwirken setzt aber nicht nur die Wahrung der Individualität unbedingt voraus, sondern auch die Dialogbereitschaft.

GB: In der Publikation „Liebe Macht Kunst – Künstlerpaare im 20. Jhd.“ (hrsg. 2002, Böhlau Verlag), entwickelt die Kunsthistorikerin Dr. Carola Muysers u. a. für Euer künstlerisches Zusammenwirken das Modell des „Siamesischen Zwillings“. Sie kommt zu der Schlussfolgerung, dass gerade das „Miteinanderverwachsensein“ einen klaren und bewussten Umgang mit Lebenssituationen erfordert, der sich auf die künstlerischen Projekte auswirkt und eine programmatische Arbeits- u. Lebensführung bedingt.

GfBH: Durch genaues Hinsehen wird sofort klar, dass die Autorenschaft der einzelnen Bildelemente problemlos zugeordnet werden kann, denn wir verheimlichen sie ja nicht. Gerade bei eineiigen Zwillingen ist jedoch die Unterscheidung äußerst schwierig, also bliebe nur die Variante der zweieiigen Zwillinge. Nein, wir wollen Sie nicht auf den Arm nehmen, aber das Sinnbild des Zwillings ist vielleicht insofern nützlich, als dass zwei geistig verwandte und dennoch gänzlich unterschiedliche Menschen den gemeinsamen Blick auf ein Thema richten, dass sich ganz langsam zu einem Bild entwickeln muss. Und das Verwachsensein meint hier den unbedingten Willen, zu einer Bildfindung zu gelangen. Unsere Zusammenarbeit ist kein Programm, denn dies könnte schnell zur Schablone werden. Und da sich der Raum und die Bedingungen permanent verändern, passt die Schablone nach kürzester Zeit nicht mehr. Unsere Zusammenarbeit hat sich durch die Benennung der einzelnen malerischen Merkmale ergeben, also durch Sprache. Plötzlich hatten wir den Eindruck, dass sich unsere gegensätzlichen Positionen ergänzen könnten. Ein Gründungsdekret, eine spielerische Grund-, An- und Vorsatzerklärung haben wir verfasst, in der die GfBH anstrebt, „der Überflutung von Reizbildern entgegenzuhalten, fremde Zweckbestimmungen aus den Bildern herauszunehmen und die Annahme zu korrigieren, dass Teil- und Splitterbilder… Ausschließlichkeitscharakter aufgrund wirtschaftlicher Indienstnahme besitzen“… „In diesem Sinne sieht die GfBH ihrer zukünftigen Zusammenarbeit mit vitalem Bild Er Halt-Trieb erwartungsvoll entgegen.“

GB: Euer Themenspektrum ist sehr breit gefächert. Der erste gemeinsame Katalog zeigt ausschließlich schwarz/weiße Arbeiten, in denen neben Malerei und Fotografie Texte einen breiten Raum einnehmen. Die Arbeiten in einem weiteren Katalog sind dafür umso farbiger und behandeln das Visionäre, das Engelische, wobei die unterschiedlichen bildnerischen Gattungen nach wie vor miteinander kombiniert werden.
Im Katalog „Arbeiten 2000 – 2003“, stehen sich die einzelnen Bildgattungen mehr unvermischt gegenüber, nehmen aber Bezug aufeinander. Neu hinzugekommen sind Themen aus der „Welten- und Beziehungsvielfalt“: Paarwelten, Tierwelten, Landschaftswelten und Sprachwelten, also sehr viel konkretere Themenbereiche. Ihr habt auch Bezüge zur Kunstgeschichte verfolgt. Durch Euer Hauptthema Mensch und Umraum habt Ihr Porträtzitate aufgegriffen wie z.B. die von Bellini, Cranach, Holbein, Leonardo, Vermeer, Velázquez u. a. und versucht diese aus ihrer konkreten Zeitenstehung in einen „anderen“ Kontext zu übertragen, bzw. eine Schnittstelle zur Gegenwart herbeizuführen.

GfBH: Allen Themen haftet der Gedanke an, dass die Mehransichtigkeit bzw. die Gleichzeitigkeit mehrerer Gedankengänge, dargestellt durch das Einsetzen unterschiedlicher Mittel, die Dinge so in Schichten zerlegt und miteinander neu verknüpft, dass eine eindeutige Aussage nicht mehr möglich erscheint. Der feste Boden unter den Füßen schwindet immer mehr, so dass das „Wirkliche“ durch eine andere Wahrnehmungsebene zersetzt wird und droht, nicht mehr erkennbar zu bleiben. Gleich in unserem Gründungskatalog heißt es in einem Bild …“raumgedrehter Blick, gestaucht und gefügt“…, was wohl zu der Arbeit „X-Mal“ geführt hat, in der wir alle uns wichtigen Bildtafeln, Bildträger wie Malerei, Fotos, Zeitungsausschnitte, Texte, ja sogar eine leere Pappe mit einem X versehen haben, um die Gültigkeit des Dargestellten in Frage zu stellen.

GB: Eure künstlerische Zusammenarbeit beschränkt sich nicht auf den eigenen Dialog. Nicht nur in Eurer Malschule „Bilderhalt“ führt Ihr den Dialog über Dritte – die Schüler – weiter, sondern auch in der Arbeit mit psychisch kranken Menschen.

GfBH: Die Gültigkeit des Realen zu befragen haben wir konkret in der „X-Mal“ Arbeit thematisiert, ohne zu ahnen, dass wir sieben Jahre später auf einem viel direkteren Wege mit völlig anderen Realitätsebenen konfrontiert werden. Seit 2004 betreuen wir beim Diakoniewerk für Sozialpsychiatrie in Duisburg eine Malgruppe, die „MALzeit“, Menschen mit unterschiedlichen psychischen Erkrankungen, die über eine ganz andere Wahrnehmung verfügen, in der das Reale vom Zwanghaften, Psychotischen, Wahnhaften überlagert wird, das in die Bilder einzieht und sie eben so besonders macht. Die Erfahrung ist derart grundlegend, dass wir sie überhaupt nicht missen möchten. Der direkte, ungefilterte, unverbildete Zugang dieser Menschen zu Bildwelten ist sehr authentisch und nur bedingt steuerbar, so dass Abenteuer und Wagnis einerseits, Festhalten an Eingraviertem andererseits, beides intensiv, ganz dicht nebeneinander stehen.
In der so genannten „normalen“ Welt läuft es eigentlich ähnlich ab, nur die gestalterischen Strukturen werden bewusster eingesetzt, vom Intellekt stärker gesteuert. Da wir auch Malkurse in unserem Atelier anbieten, ist es überaus interessant, den gestalterischen Vorgang, von der Idee über die Bildfindung bis zum fertigen Bild mitzuverfolgen und bei ähnlichen Themen die beiden Welten zu vergleichen. Wie unterschiedlich die Bilder auch sein mögen, wir besprechen die Ergebnisse mit beiden Gruppen auf gleicher Weise, so dass das Bild immer an erster Stelle steht. So hofft die GfBH, das Bild zu erhalten.

GB: Ich danke Euch sehr für das Gespräch und wünsche Euch außer Bild Er Halt auch Bilder-Trieb und alles Gute für die Zukunft.