Texte - Reden - Einführungen

Einführungsreden, Katalogtexte

 

1. Dr. Dirk Tölke, Klärwerk Krefeld-Uerdingen 2023

2. Dr. Angelika Hille-Sandvoß, Kunstverein Jülich, 2019

3. Kerstin Gralher, Haus Villigst Schwerte, 2018

3. Jürgen Jaissle, Galerie SK Solingen, 2017

4. Dr. Dirk Tölke, FFFZ Düsseldorf, 2014

5. Dr. Angelika Hille-Sandvoß, Versandhalle Grevenbroich, 2014

6. Ein Interview von Gottfried Bohumil mit der GfBH, Düsseldorf 2006

1. Dr. Dirk Tölke, Einführung anlässlich der Ausstellung Spielarten der Abstraktion im Klärwerk Krefeld-Uerdingen 2023

Spielarten der Abstraktion

 

Spielarten der Abstraktion heißt die Ausstellung im Uerdinger Klärwerk. Die Abstraktion als Kunstrichtung hat ihre fünffachen künstlerischen Ursprünge zwischen 1906 und 1913. Hilma Af Klint begründet still die Auseinandersetzung mit der gegenstandslosen Welt von Form und Farbe. Wassily Kandinsky, Piet Mondrian, František Kupka und Kasimir Malewitsch werden unabhängig tätig und prägen mit unterschiedlichen Ansätzen, Schülerschaft und Öffentlichkeit die Ausbreitung.

Aus der Technik der Vereinfachung, der Reduzierung, der Stilisierung und der dekorativen Malerei des 19. Jh. hat sich diese verknappende Bildsprache zu einer gegenstandslosen Welt entwickelt, in der Form und Farbe unabhängige Qualitäten gewonnen haben. Auch in der Musik hat man ja als Basis Noten und Töne, die im Grunde abstrakte Klangfrequenzen sind, aus denen man in der Kombination Melodien und Rhythmen entwickeln kann. Von der Musik erwartet man eigentlich nicht, dass sie Naturklänge realistisch nachahmt, wenn auch gelegentlich Zirpen und Donnern auftaucht. Stattdessen gibt es, besonders bei Johann Sebastian Bach, einen logisch konstruierten und variierten Ablauf von Tönen, der dennoch eine Emotion erzeugt und eine Empfindung hervorruft, in die man sich hineinversetzen kann. In ähnlicher Weise haben davon angeregt Malerinnen und Maler versucht, Farbe und Form zu komponieren oder zu improvisieren, wie das insbesondere Kandinsky in seinen Bildtiteln betont. Isoliert von jeder gegenständlichen Andeutung spielen Kunstschaffende seitdem mit Formen und Farben und erproben die daraus resultierenden Empfindungen emotionaler und sachlicher Art im Sinne von Bewegung, Zentrum, Richtung, Tiefe, Streumustern und Ausdrucksmitteln für Befindlichkeiten und Wahrnehmungserfahrungen. Auch diese Kunstschaffenden sind anfangs auf Harmonie aus, auf Ausgewogenheit von Kontrasten und Überlagerungen, auf Schöpfungen parallel zur Natur. Die Abstraktion hat sich verschiedener Module bedient. Anfangs Schwingungen und geometrische Körper, dann biomorphe und amöbenhafte Strukturen. Mit dem Informel kommen Spuren und Schrunden, Kratzer, Schüttungen, Punktverteilsysteme, Wellen. Es wird immer schwieriger, in der einfachen Kombination zu neuen Ausdrucksformen zu kommen. Was man in dieser Ausstellung sieht, ist inzwischen ziemlich komplex in der Durchdringung und Überlagerung von Formwelten und Techniken.

Spielarten der Abstraktion benennt durchaus ein freies Spiel mit Farben, Formen und Licht. Lichtreflexionen und Nutzung von durchscheinenden Leinwänden, Papieren oder Noppenfolien, teils beidseitig gearbeitet, finden sich in den Werken. Dazu kommt das Spiel mit Farben und Formen. Spiel bedeutet aber nicht Beliebigkeit, sondern jedes Spiel hat eine vereinbarte Spielregel, an die man sich hält. Kunst erfindet neue Spielregeln, Konstellationen und Macharten, greift Techniken und Inhalte auf und moduliert sie frei und kontextbezogen. Sie findet neue Sichtweisen und Anwendung, nicht etwa nur mit der Hauptintention, gegen Tradiertes zu sein, sondern als Erweiterung und Aktualisierung alter Themen und als Neubesinnung und Kombinatorik. Es gilt Neues zu entdecken.

 

Lothar Janssen nutzt dafür explizit den Zufall. Am Beginn eines Werkes, das im Entstehen schrittweise die weiteren Möglichkeiten einschränkt, ist das Ziel nicht schon immer klar. Wie ein Stichwort oder eine Gedichtzeile kann eine erste Setzung das Folgende aus dem Kunstschaffenden herauslocken. Aus persönlichen, kompositorischen und technischen Gegebenheiten, aus den Materialbedingungen entstehen in der steten Weiterführung und Addition Lösungen, die zwingen, immer wieder zu erspüren, wohin sich das Werk entwickelt, wohin es getrieben werden soll, was es auch unerwartet auszudrücken im Stande ist. Soll eine Dynamik und Gerichtetheit entstehen oder soll eine Gesamtharmonie austarierter Kräfte erzielt werden. Solche Tendenzen spielen auch in der abstrakten Welt eine Rolle. Abstraktion in der heutigen Fassung ist entweder abstrahiert, von der Natur „abgezogen“, also einem Vorbild geschuldet organisiert oder „konkrete Kunst“, d.h. ohne Naturbezug nur aus den isolierten Formelementen konstruiert und selbst erfundenen Regeln und Programmen unterworfen, also geistigen Prinzipien, die verfeinert werden.

 

In der Ausstellung nimmt nur ein Werk klassisch Bezug auf wiedererkennbare Realität. Trotzdem nehmen die anderen Werke formal Bezug auf die Gegenwart und den Standort des Klärwerkes. Ein Klärwerk hat mit Wasser und mit Schwebstoffen zu tun. Der Anlass ist die 650-Jahr-Feier der ehemaligen Samt- und Seidenstadt Krefeld, die lange von ihrer textilen Vergangenheit geprägt wurde. Daraus entsteht eine Analogie zu Wasser, Fließen, Textilien, zu Gewebe, zu Kette und Schuss, zu Köperbindungen. Die Arbeiten von Sonja Weber, die nicht zur Ausstellung gehören, arbeiten damit. Fäden übergreifen bei ihr unterschiedliche Anzahlen von Kettfäden und dadurch entsteht eine fotonahe Struktur gewebter Foto-Bilder.

 

Das Künstlerpaar Petra Dreier und Michael Hanousek greift die Gebäudesituation auf. Sie arbeiten schon lange zusammen. Da dies nicht sehr häufig vorkommt, glaubt man schnell, eine Person würde dirigieren und die andere ausführen, eine Person würde den Hintergrund fertigen und die Andere Details einfügen. So ist es nicht. Mit viel Vertrauen wird durchaus gelöscht und gerungen, besprochen und gewagt. Jede künstlerische Professionalisierung, die die beiden unabhängig entwickelt haben, führt zu Routinen und Macharten, zu Vorlieben und Ausdrucksmitteln. Das kann Erstarrung werden. Dadurch, dass die andere Person in einer Weise eingreift, die in ihrer Routine liegt und der anderen Person störend erscheint, kommt etwas Neues ins Spiel, auf das eine Person allein nicht mehr gekommen wäre. Ein gemeinsamer Nenner in der Gesamtwirkung ist dennoch für die Zusammenarbeit wichtig. Dafür braucht es ein in gezieltes Eingreifen eingespieltes Team, um aus der latenten Bindung Innovatives zu schaffen. So entsteht Überraschendes wie beim Zufall, der aber auch erst der Anfang ist und nicht die Lösung selbst. Man muss den fremden oder zufälligen Einfluss als Lösung auch wahrnehmen, damit er nutzbringend werden kann. Er muss die Intention stützen und eine Verbesserung oder Steigerung bringen.

Unter diesen Arbeitsbedingungen greifen die Beiden nun die Vorgaben am Ort auf, die Fensterformate. Ihre vorgehängten Folien- Arbeiten haben eine klassische Rahmung, die sichtbar bleibt. Ihr Bildraum bleibt abstrakt, weil auf beiden Seiten Noppenfolie ist, jeweils beidseitig bemalt, also vier Schichten nutzt, die sich überlagern können. Dadurch bilden sich Strukturen, die Becken ähneln, in denen etwas ablagern kann. Die Strukturen sind äderig, erscheinen wie Gewebe und es sind unregelmäßige Ballungen. Der Fluss und Wasserverlauf sind im Duktus vorhanden und auch in den Farben visualisiert. Trotzdem gibt es Paarungen und bewusster organisierte Setzungen. Die Formwelt ist dennoch künstlich erfunden und hat frei gestaltet doch nichts wirklich Darstellendes. Die Farben wechseln, die Rahmen werden übersprungen, das Territorium bleibt nicht eingegrenzt. Die Klärbrühe aus einer ersten Assoziation erweist sich als freies feines Formspiel. In anderen Fenstervorhängen im Nebenraum ist es teils fotografisch basiert überlagert. Dort ist es deutlicher durch die verwendete Transparentfolie als Bewegung durch Helligkeitsstufen animiert. Dadurch wird das Auf- und Durchlicht als Thema der hohen Fenster in den hohen Räumen angesprochen und das Wasser ebenso, aber abstrakt, ohne Konkretisierung. Wasserwelt erscheint in chiffrenhaften Zuständen.

 

Bei Peter Drießen, der aus dem Bauingenieur- und Architekturwesen und aus der Prüfung solcher Gebäude wie diesem kommt, ist es eine Freude an den sehr streng und von Hand gezogenen Linien. Da kommt der Bauzeichner durch, wodurch er in seiner Lehre geprägt wurde. Die Formwelten erinnern an Op-Art und Arbeiten von Vasarely und Computergrafik der 60er Jahre. In dieser Kunstrichtung wurden strenge Linien und grafische Strukturen so kombiniert, dass Bewegungssuggestionen und ein flirrender Charakter erzielt wurden, die mit der Schwäche und dem Aufbau des Sehorgans zu tun haben. Weil das Auge nie stillsteht, sondern aus Schutzgründen ständig in Bewegung ist, damit sich die Rezeptorflüssigkeit der Stäbchen und Zäpfchen regenerieren kann und die Lichtenergie nicht schädlich wird, entsteht diese optische Wirkung. Die Dauerbewegung führt zu Problemen der Bestimmung von Grenzzonen, die nicht zugeordnet werden können und erzeugt einen flirrenden Effekt, der sich bei manchen Pop-Art-Grafiken bis zum Schmerz steigern kann.

Unter diesen Umständen erscheinen die einfachen Wellenformen, die Drießens Arbeiten prägen, noch harmlos, aber sie sind fein überlagerte Strukturen und Rhythmen. Netzartige Verläufe verweisen wieder auf Gewebe. Gewebe, das porig geworden ist, vielleicht Lücken hat. Das Gefüge ist so komplex, dass man jedem einzelnen Faden folgen muss, um die Zusammenhänge zu sehen und zu ergründen, ob das so gewollt ist oder ob es sich um Webfehler handelt. Das macht die Bilder interessant und lebendig, trotz der einfachen Reduzierung auf zwei Farben und einem sich entwickelnden dynamischen Rhythmus von Wellenlinien. Feine Übergänge in den Tönen lassen die Bilder plastisch wirken. Eine Form der Abstraktion kommt hier zum Tragen, die nicht nur Flächen gegeneinander setzt, sondern auf eigene Weise lebendig das Thema Wasser und Welle aufgreift. Ein herausfallendes Sonnenuntergangsbild fluchtet klassisch tiefenperspektivisch. Als realismusbezogener Kontrast macht es deutlich, dass in den anderen Werken die Linearität und Flächengrafik durchaus dreidimensional erscheint, aber nicht in klassischen Proportioniertheiten eines einheitlichen tiefenperspektivischen Bildraumes, auf den wir seit der Renaissance etwas penetrant reduziert sind, wodurch Bilder als Fenster in einen anderen Raum erscheinen und feste Proportionsverhältnisse erwartet werden. Da hat die Abstraktion wieder neue Möglichkeiten geschaffen, den Bildraum für andere Optionen zu öffnen.

 

Gudrun Kleffe greift die Struktur von Kette und Schuss bzw. Gewebe auf, der ihre neben Malerei und Grafik zentrale Textilkunst dem Jubiläumsanlass und der textilen Stadtgeschichte andient. Ihr textiles Wirken ist aber von der Fadenstruktur her gedacht. Sie zeichnet mit Fäden, verwendet blickdichte und durchsichtige Textilmaterialien, die Linien und Kanten ausprägen und insbesondere durch Licht und Schatten zum Leben erweckt werden. In diesem Sinne entsteht eine körperhaft wirkende, aber nicht vom Körper abgenommene Fadenstruktur, Netzwerken oder Tragwerkstrukturen verwandt, die von ihr als Spiel von Linien, Überlagerungen und Farbverschiebungen eingesetzt wird. Etwas geschädigtes, geschundenes entsteht, ein Konstrukt, das unter Druck steht oder belastet ist, kein perfektes industrielles Produkt, sondern ein lebendiges Ausdrucksmittel. Getragenes, Abgetragenes, Abgehängtes, Schwebendes, Lastendes werden Teilaspekt einer Individualität. In den Werken auf Leinwand, selbst ein Gewebe, wird es weitergetrieben. Die vorn und hinten bearbeiteten Arbeiten sind so gehängt, dass im oberen Teil das Licht von hinten durchdringen kann und je nach Lichtintensität wird auch die Struktur des aufgestickten Materials sichtbar. Die Struktur selbst ist eine Darstellung von Linien im Raum. Dreht man ein Gewebe zylinderhaft ineinander, so dass es wie eine Röhre wirkt, (kleine Arbeiten im hinteren Raum zeigen dies), dann ist es eben doch Zeichnen im Raum mit dem gestalteten Gewebe und seinen Vorgaben. So erfuhr Gudrun Kleffe, dass in großen Flächen das Material eine Eigenstarre hat, sodass es nicht in alle Richtungen zu bringen ist. Deswegen sind die Arbeiten an der Wand eher von klassisch konstruktivistischer Collage-Anmutung. Strukturen, die man sich auch in Metall vorstellen könnte, werden von ihr aufgegriffen als eine Spielart, ein Formspiel freier Formen, das auf nichts verweist, das bereits bekannt ist. Nur das Mit- und Gegeneinander wird inszeniert und präsentiert, Richtungen genutzt, wie etwa bei einer zerbrochenen Leiter. Die Naht, die Wunde wird weiter thematisiert, die angegriffene Substanz und Lebenswelt, wenn nicht metaphorisch Körper und Persönlichkeit als geschunden, vernutzt, in Veränderung befindlich. All das ist geradezu meditativ, Schlinge für Schlinge erwirkt.

 

Bei Lothar Janssen ist man mit einer grafischen Bearbeitung konfrontiert, in der Flächenelemente, die relativ streng wirken, mit zerpflückten Gewebestrukturen aufgeflockt und zusammen mit der Acrylfarbe gedruckt sind. Diese Materialgegebenheiten kontrastiert der Künstler mit gradlinigen, gleichmäßigen und geometrischen Linien und Flächen, die er zu verweben weiß. Die Maße und die Techniken binden, was man mit welcher Materialität und welchem Verfahren überhaupt gestalten kann, schaffen Dynamiken und Flächenoasen, Verbindungen und Kontinente. Nichts Konkretes zeigt sich, aber ein aparter Komplex. Der durch Google Earth und Drohnen inzwischen abseits von Plänen und Grundrissen eingeübte kartographische Blick von oben hilft weiter. Ein wissenschaftliches Illustrationsmodell geologischer Art scheint sich den Blicken darzubieten. Doch so einfach ist es wieder nicht. Es geht nicht um Wiedererkennen von Details. Man sieht freie Gefüge, in denen man Verhältnisse von Flächen und Linien, Farben und Formen erleben und erwägen kann. Als grundsätzliche Fragen der Kunst an Schönheit und Harmonie, an die Bildwiedergabe von Empfindung, als Lenkung von Wahrnehmung im Sinne eines Bildbegriffs, als visuelle Phänomene in kompakter Zurichtung und präziser Vereinzelung bilden sie komplexe Bildlandschaften. In den kleineren Arbeiten kommt der Lichteffekt mit Transparentpapier zum Tragen mit dem Atrament, dem aus der römischen Zeit stammenden tiefen Schwarz. Es sieht aus wie gezeichnet, ist aber geschoben und gespachtelt. In verschiedenen Techniken, durchaus hochfiligran, hat Lothar Jansen eine eigentümliche Gespinststruktur und ein komplexes Vokabular geschaffen, das in diesen Werken auf das Oberleitthema Gewebe Bezug nimmt. Es sind keine knalligen Flächen, sondern Durchdrungenes in Kontrast zu brüchigen Strukturen. Unsere erste Haut bekommt Falten, die zweite Haut der Kleidung Knitter, Brüche, Risse, Löcher – Nutzungsspuren und die dritte Haut der Architektur und Landschaftsplanung, die uns umgibt ebenso. Das alles, inklusive der darin wirkenden Transparenzen in diesen Hüllen, ist als Kulturgeschichte Hintergrund eines im künstlerisch bearbeiteten Material atmenden Prozesses, der ohne Konkretisierung als erlebtes Geschehen und als Gegenwartserfahrung spürbar wird.

 

Es ist nicht der Verweis auf die Frühzeit der Abstraktion maßgeblich in all diesen Arbeiten, sondern eine Möglichkeit der Weiterentwicklung der gegenstandslosen Malerei und entsprechender Objekte, die den Blick auf andere Empfindungen Raumgrößen und Lichtreflektionen bietet und die visuelle Kultur bereichert. So steht man vor Werken, die nicht sofort erklärbar sind, aber Neugier auslösen.

 

Dirk Tölke

 


2. Dr. Angelika Hille-Sandvoß, Einführung anlässlich der Ausstellung MALEREI! im Kunstverein Jülich, 2019

Rede zur Eröffnung der Ausstellung „Malerei!“ mit Bildern von Petra Dreier und Michael Hanousek im Hexenturm in Jülich am 11. Oktober 2019

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

wie schön, dass Sie alle sich haben verführen lassen, zu dieser besonderen Ausstellung hierher in den Hexenturm zu kommen. Malerei mit einem Ausrufezeichen hat Sie eingeladen und nun sehen Sie Bilder eines Paares, das gemeinsam Kunst schafft und das seit vielen Jahren. Der Untertitel auf der Einladungskarte verweist auf „3 Jahrzehnte dialogisch malerischen Diskurs“, womit die Arbeitsweise der beiden sehr präzise beschrieben wird. Beim malerischen Prozess beginnt einer oder eine der beiden und der oder die andere fährt fort und setzt damit den künstlerischen Dialog in die malerische Tat um. Der Austausch darüber, wie es beim aktuellen Bild konkret weitergehen könnte, ist Teil des Prozesses, bei dem ein Bild entsteht. Der Betrachter soll nicht erkennen können, wer welchen Teil gemalt hat, weil das fertige Gemälde tatsächlich und buchstäblich ein Gemeinschaftswerk ist, auch wenn viele Bilder noch durch eine Linie geteilt erscheinen und der künstlerische Ausgangspunkt anschaulich ist. Aber wer für präzisere oder eher diffuse Partien die Verantwortung trägt, spielt für die ästhetische Dimension der Bilder keinerlei Rolle.

Wir sehen hier zwei zentrale Sujets von Petra Dreier und Michael Hanousek: Köpfe und amorphe Landschaften.

Wenden wir uns zunächst den Köpfen zu. Vielleicht erinnern sich einige von Ihnen noch an den alten Werbespruch der FAZ: „Dahinter steckt immer ein kluger Kopf“. Für mich bringt es dieser alte Slogan sehr gut auf den Punkt, wofür der menschliche Kopf steht – als pars pro toto, als Teil für das Ganze. Der Kopf macht den Menschen und wer ein spezifisches Porträt zeichnen will, kommt meist mit der Darstellung des menschlichen Hauptes aus. Am Kopf, am Gesicht erkennen wir einen individuellen Menschen wieder- was Arme und Beine nicht gleichermaßen leisten können.

Aber die Köpfe in unserer Ausstellung sind keine klassischen Porträts, die nach einer oder mehreren Sitzungen angefertigt wurden und nach größtmöglicher Ähnlichkeit mit der dargestellten Person streben.

Die erste Inspiration für diese besondere Malerei stammt aus der Beschäftigung mit Porträts von schizophrenen Patienten. Um ihre spezielle Störung ausdrücken zu können, wurde die Idee des geteilten Porträts entwickelt. Aber dabei ist es nicht geblieben: die Köpfe, die danach entstanden, streben keinerlei Porträtähnlichkeit mehr an. Es geht vielmehr um eine malerische Diskussion der menschlichen Erscheinung ganz generell. Dazu werden Überzeichnungen, Tarnungen, Verkleidungen oder regelrechte Maskeraden eingesetzt, hinter denen der individuelle Mensch nachgerade verschwindet.

Deutlich wird dies bei Bildern, die z.B. den Titel „Joker“ tragen. Der eigentliche Kopf scheint hinter einer Fülle von unterschiedlichsten Attributen zu verschwinden – Symbole für die vielfältigen Möglichkeiten menschlicher Entwicklung, die unsere hochtechnisierte Welt auch für das menschliche Individuum bereithält. Da können Chips unter die Haut implantiert werden oder zusätzliche Instrumente auf dem Kopf die Kommunikationsmöglichkeiten erweitern. Das Zerrbildhafte dieses Schädels deutet an, dass diese Entwicklung nicht nur positiv gewertet werden kann, auch wenn ein lichter Hintergrund und eher zarte Partien auch eine optimistische Perspektive aufscheinen lassen.

Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf das Thema der „Amazone“ lenken. Ursprünglich entstammen die mythischen Amazonen einem kriegerischen Frauenvolk aus Asien und haben die männliche Phantasie nachhaltig beflügelt und reichen Niederschlag in der Kunst- und Literaturgeschichte gefunden. Die Faszination beruht auf dem Kontrast von traditionellem Frauenbild mit „typisch“ weiblichen Attributen wie Sanftmut und Weichheit und dem martialischen Auftreten der Kriegerinnen. Aber gilt das auch noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts, in dem Soldatinnen in vielen Armeen ganz alltäglich sind, in dem jungen Frauen und Mädchen ganz selbstverständlich sicheres und selbstbewusstes Auftreten vermittelt wird? Gerade um diese Fragestellungen kreisen die Köpfe von Dreier und Hanousek, weil die Malerei die wunderbare Möglichkeit hat, keine eindeutigen Antworten vorzugeben, sondern auch den Betrachter zum Dialog mit dem Bild einlädt. Die Attribute auf den Bildern lassen Raum für eigene Deutungen, für Weichheit und Kraft, für ein neues Frauenbild, das Stereotype der Vergangenheit hinter sich lässt. Und dass diese Bilder von einem Mann und einer Frau gemeinsam entwickelt wurden, ist nur eine zusätzliche Dimension in der Auseinandersetzung der Geschlechter. Dabei hat das Künstlerpaar nie interesseiert, ob es typisch weibliche oder typisch männliche Malerei überhaupt gibt – nein – nur gute oder weniger gelungene Bilder!

Lassen Sie mich noch einmal auf den Titel der Ausstellung zurückkommen: Malerei mit einem Ausrufezeichen. Das hat mich sofort gepackt. In unseren Zeiten, in denen Bilder, Fotos allgegenwärtig sind, in denen banalste Alltagssituationen im Bild festgehalten und sofort mit „Gott und der Welt“ geteilt werden, ist es für mich zu einer Entwertung von Bildern gekommen. Ich frage mich immer häufiger, wer sich eigentlich diese Überfülle ansehen soll und welchen Eindruck sie auf den Betrachter machen. Vermutlich kaum einen, weil das Überangebot sofort durch die nächste Flut überholt wird. Was bleibt also? Die bewusste Hinwendung zu einem ganz anderen Medium – der Malerei. Die Vielschichtigkeit, die verschiedenen Sichtweisen und die Einladung zum Dialog, zur Auseinandersetzung mit dem Bild und seinen Inhalten machen Malerei zu einem nachdrücklichen, nachhaltigen Erlebnis. Dem gemalten Bild fehlt die Eindeutigkeit und das macht es so reizvoll – auch noch Jahre nach der Entstehung oder dem Erwerb durch einen Käufer.

Aber kommen wir nun auch wieder zu konkreten Bildern – den „Territorien“ und ihren illusionären und amorphen Formen. Auch hier findet sich die für Dreier/Hanousek typische Arbeit mit ganz unterschiedlichen Strukturen. Die große, allgegenwärtige Zersplitterung unserer gesellschaftlichen Gegenwart, aber auch die Realitäten unseres Informationszeitalters mit ihrer Überfülle an Botschaften für jeden Einzelnen sind Gegenstand der Malerei. Sie wird als Versuch verstanden, die unterschiedlichen Systeme zusammenzubringen.

Für das Malerpaar ist die Natur, sind reale Landschaftsausschnitte die Basis dieser Bilder. In einem aufwändigen Abstraktionsprozess wird jede naturalistische Ähnlichkeit getilgt, bis nur noch Fragmente des ursprünglichen Bildes oder Fotos erkennbar sind. Dies gelingt durch die Schaffung verschiedener räumlicher Ebenen, so wechseln sich flächige und stärker strukturierte Schichten miteinander ab; eine Art gemalter Collage. Am Beginn eines Bildes steht oft ein Impuls, der seinen malerischen Ausdruck findet, aber dann vielfach übermalt wird. Malerei wird auch als Möglichkeit verstanden, nach Grenzen in jeder Form zu suchen, um sie aufzuheben.

Insofern existiert ein enger, innerer Zusammenhang zwischen den Köpfen und den Territorien, denn die Köpfe können als eine Art Territorium gedeutet werden, ohne dass sie tatsächliche Gesichtslandschaften sind.

Ich lade Sie jetzt ein, diese Bilder selbst in Augenschein zu nehmen. Das Künstlerpaar freut sich auf anregende Gespräche mit Ihnen.

 

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

 

©Dr. Angelika Hille-Sandvoß

 


3. Kerstin Gralher, Einführung anlässlich der Ausstellung Kondensate im Haus Villigst, Schwerte 2018

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Frau Dreier, lieber Herr Hanousek, herzlich willkommen zur Ausstellung „Kondensate“ der Gemeinschaft für BildErHalt.

Es ist ja durchaus nicht ungewöhnlich, dass wir zwei Künstler zugleich ausstellen, was aber bisher einmalig ist, zumindest für die Zeit, in der ich die Ausstellungen organisiere, sind zwei Künstler, die gemeinsam ein Werk schaffen – und das seit bald 30 Jahren.

Auf den ersten Eindruck hin könnte man annehmen, jeder der beiden verfolge einen eigenen „Personalstil“ – die glatten Oberflächen macht der eine von beiden, die malerischen der andere. Noch ein bisschen Abstimmung miteinander - fertig ist das Bild.

Doch so einfach ist es nicht.

Fangen wir vorn an – Petra Dreier und Michael Hanousek lernen sich bereits während ihres Studiums an der Kunstakademie Düsseldorf kennen, beide sind

Schüler von Gotthard Graubner. Nach dem Studium malt jeder erst einmal für sich - Petra Dreier abstrakt und mit Acrylfarben, Michael Hanousek gegenständlich und in Öl. Zunächst kombinieren sie ihre Bilder und es entstehen große Installationen aus 30-40 Einzelarbeiten. Schon in dieser Zeit teilen sie ein Atelier und nehmen an der Arbeit des jeweils anderen teil. Als Michael Hanousek dann zu Acryl wechselt und außerdem beide sich jeweils die Stilrichtung des anderen anverwandeln – Petra Dreier beginnt gegenständlich zu malen, Michael Hanousek abstrakt, wird es schwierig mit den gemischten Installationen.  Sie erstellen eine Liste mit Begriffen, die ihre Arbeit charakterisieren und stellen fest, dass der andere häufig das Gegenteil davon für sich in Anspruch nimmt. Also legen sie Regeln fest, wie sie mit den Verschiedenheiten umgehen. Ab 1989 dann malen sie gemeinsam. Begonnen haben sie mit Portraits. (er den Kopf, sie den Hintergrund, doch das reichte ihr bald nicht mehr, irgendwann war dann mal ein Kopf komplett übermalt…. – der Anfang von etwas schönen Neuem beginnt ja oft mit einer Zerstörung…!)

Künstlerpaare sind nicht gar so selten in der Kunst. Doch meist verbünden sie sich für eine Projektarbeit oder einen Lebensabschnitt. Einige teilen ihre Ateliers und versuchen sich künstlerisch aus dem Weg zu gehen, damit es im gemeinsamen

Leben auch noch klappt. Aus dem 19. Und 20. Jahrhundert kennen wir als Paare Camille Claudel und Auguste Rodin, Diego Rivera und Frieda Kahlo, Pablo Picasso und Francoise Gilot. Meist endeten diese künstlerischen und privaten Symbiosen tragisch bis dramatisch. In der Vergangenheit wurden oft nur bzw. überwiegend die Männer wahrgenommen, die Frauen galten als gescheitert, sobald sie aus dem Schlagschatten der Männer herausgetreten waren. 

An erfolgreichen Paar-und Kunstbeziehungen ist mir spontan nur das Ehepaar Eames (Charles und Ray) eingefallen, die gemeinsam das Design der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts prägten oder Gilbert und George und Fischli und Weiss – die dann nicht mehr existieren, wenn einer der beiden Partner stirbt.

Andere Konstellationen gemeinsamen Arbeitens sind schon älter – viele Künstler der Renaissance und jeder Barockmaler, der etwas auf sich hielt, hatte eine eigene Werkstatt, bzw. ein Atelier, in dem Schüler für ihn malten (ja – es gab auch eine reiche und erfolgreiche Malerin im 17. Jahrhundert, Angelika Kauffmann, die ebenfalls nach dem Tod ihres Vaters eigenständig arbeitete und ebenfalls eine eigene Werkstatt hatte). 

Aber hier verhält es sich anders. Weder ist der Altersunterschied der beiden Künstler gravierend, noch handelt es sich um ein erotisch und emotional erweitertes Schüler-Lehrer-Verhältnis.

Die beiden arbeiten gleichberechtigt an ihren Bildern, ringen miteinander, streiten, sind auch nicht immer nett dabei, wie mir gesagt wurde, aber es geht ihnen immer um die Sache selbst, um das Bild.

Da man schlecht zu zweit an einem Bild arbeiten kann, sind bei den beiden immer mehrere Bilder in Umlauf. Es gibt neben dem Bildbeginn keine feste Grenze. Das Ende des Malprozesses wird vom Bild selbst bestimmt – und wann das ist, finden die beiden durch die gemeinsame Arbeit, das Übermalen des Bestehenden, die Fortführung bildnerischer Ideen und durch Diskussionen heraus.

Doch was sehen wir?

Neben den malerisch sehr auffälligen Unterschieden zwischen glatten, im Farbverlauf gleichmäßig sich verändernden Flächen zu pastos aufgetragenen, kontrastreichen, fällt auf, wie dick die meisten Bilder sind. Das hat natürlich etwas mit dem Entstehungsprozess zu tun, bei dem das, was einer der beiden malt, vom anderen auch wieder übermalt werden kann. Und anders als es auf den ersten

Augenschein zu vermuten wäre, malt nicht Petra Dreier dies so und Michael Hanousek etwas anderes so. Beiden „können“ beides und beide machen beides. Das ist also eine falsche Fährte.

Der Malprozess über einen längeren Zeitraum, mit Unterbrechungen durch die Arbeit an verschiedenen anderen Arbeiten, bringt es mit sich, dass am Ende beiden gar nicht mehr klar ist, wer was gemacht hat. Das Bild mit dem längsten Malprozess - mit Pausen dazwischen – er erstreckt sich über vier Jahre - ist das Diptychon gleich rechts in der Cafeteria, „Fracking“.

Es ist ein gutes Beispiel für einen Teil der Bilder, die die beiden schaffen und für die, die wir in Haus Villigst ausstellen.

Wirken die Bilder in der Regel sehr ort-, zeit- und raumlos, bergen sie aber auch alle Strukturen, die den Betrachter an etwas Vertrautes erinnern können: sei es eine Landschaft, Wasser, pflanzliche Formen, Versteinerungen, Durchsichten und Einblicke, Zerstörungen und Störungen, Metalle oder Stoffe.  Dynamische und statische Elemente sind, wenn überhaupt, dann nur für einen „kurzen“ Augenblick ausgeglichen. Im Grunde wirkt vieles wie eine Momentaufnahme – allerdings eine, die aus einer ganzen Reihe von Aufnahmen davor und danach ausgewählt wurde, weil sie exemplarisch und situativ das zu Erzählende am besten festhält. Es gibt wenige Arbeiten, bei denen sich nicht der Eindruck einstellt, dass sich etwas verändern würde, wenn man 10 Minuten später noch einmal vorbeikäme und schaute. 

Das Element der Zeit, dass sich dadurch beim Betrachten der Bilder einstellt, finde ich wirklich bemerkenswert. Haptisch sichtbar ist es durch die Schichtungen, die Verkörperung des Malprozesses. Von der inneren Logik der Bilder her sind es

Bruchteile der Perfektion, die aus einem Fluss der sich in Bewegung befindenden Bildelemente einstellt. Ein hart und über Wochen und Monate erarbeitetes Augenblicksbild.

Läuft man durch das Haus, stellt man außerdem fest, dass die zum Teil von der Farbstimmung und dem Gestus sehr verschiedenen Arbeiten miteinander in Korrespondenz treten. Ähnliche malerische Elemente werden erkennbar, bestimmte Effekte wiederholen sich, selbst Bildstimmungen entwickeln eine Vertrautheit. Man sollte sich seiner Sache bei der Bildbetrachtung aber nicht zu sicher sein.  

Vergleichbar wie mit möglicherweise vertrauten Bildelementen verhält es sich mit den Titeln – mal sind es Wort-Neuschöpfungen, die an ähnliche Begriffe erinnern, mal führen sie auch in die Irre oder sind assoziativ zu verstehen. In jedem Fall veranlassen sie einen, darüber nachzudenken, was gemeint sein könnte. Verlässlich sind sie so wenig wie die momentane Sicherheit, die die Konstellation auf dem Bild herstellt, die gerade im rechten Moment unterbrochen wurde sich zu verändern.

Dreier und Hanousek haben in fast 30 Jahren gemeinsamen Arbeitens und Zusammenlebens nicht nur ein beachtliches Werk mit einer eigenen gestalterischen Biografie geschaffen – hier stellen wir nur einen Ausschnitt ihrer Arbeiten aus, es ist ihnen außerdem gelungen nicht nur einen bildnerischen Diskurs am Leben zu erhalten, sondern auch ihr gemeinsames Leben im Diskurs zu halten. Beidem gebührt Respekt. An den Bildern können wir uns darüber hinaus auch noch erfreuen, uns irritieren und uns auf assoziative Reise schicken lassen. Bei Fragen nach dem richtigen Abzweig stehen Ihnen die beiden jetzt gern zur Verfügung.

 

Kerstin Gralher, 6.7.2018 


4. Jürgen Jaissle, Einführung anlässlich der Ausstellung EIN ORT - KEIN ORT in der SK Galerie Solingen 2017

 

EIN ORT – KEIN ORT, AUSSTELLUNGSERÖFFNUNG 18.6.2017

VORBEMERKUNG JÜRGEN JAISSLE

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Ein provokanter Titel dieses Werkezyklus: EIN ORT – KEIN ORT. Als würde einem der Boden unter

den Füßen entzogen werden und würde man sich als Schwere-loser jenseits der Erdanziehung in

einem endlosen Raum wiederfinden. Verloren der Boden des Halts und die vertraute Umgebung. Wo

doch der Ort, der Raum, wie die Zeit uns Koordinaten zur Orientierung geben und das Maß unserer

Identität. EIN ORT – KEIN ORT, keine Prämisse für einen flüchtigen Zugang, keine Leichtigkeit des

Seins, kein Versprechen einer Wohlfühl-Kunst. Aber, vielleicht ein Gewinn? Doch und gerade deshalb

der Versuch einer Vorbemerkung. Von einigen Gedanken möchte in drei kurzen Passagen erzählen,

von einem Bild, dem hier versammelten Oeuvre und den beiden Künstlern.

Um wieder Orientierung für das Werk von Dreier und Hanousek zu finden, die als Künstlerpaar im

malerischen Prozess sich durch eine gemeinsam geschaffene Arbeit ausdrücken, ein Blick vorab auf

das Bild ‚Bohrung‘, das Sie mit einem Ausschnitt zu dieser Ausstellung eingeladen hat: Horizontale

Linien dominieren die Acrylmalerei, die zur asketischen Pointierung in der linken Bildhälfte zwei

Farben lanciert, das warme Gelb, als wollte sie das Sonnenlicht hereinbitten, und das kalte Violett, das

Geist und Spiritualität paraphrasiert, während das Werk sich großflächig mit changierenden Grautönen

exklusiv macht. Wie Injektionsnadeln unter die Haut dringen Rohre vom linken Rand in das Bild und

tauchen in dunkle, geglättete Materie ein; man hört förmlich das Quietschen der Rohre, das Knacken

des Gesteins und das Fluchen der Arbeiter. Zwischen und oberhalb der beiden Zylinder-Bündel eine

schwarze Substanz wie Schiefer oder Öl, die rau und wild in das Bild wogt, als wollte sie die

technischen Eindringlinge fliehen. - So stoßen zwei Sphären in zwei Welten aufeinander, in der realen

Welt die von Technik und Natur im Akt einer Bohrung, vermeintlich nach Öl, in der künstlerischen Welt

die zweier Mal-Talente im Akt einer Bildschöpfung. Damit wir uns aber nicht zurück auf sicherem

Terrain glauben, opponiert das Sujet des Bildes gegen unsere traditionelle Vorstellung, Bohrung sei

eine vertikale Technologie, und führt uns eine horizontale Alterität vor Augen. - Wieder beginnen wir

Halt zu suchen. Den finden wir im Bildaufbau und der Bildsprache, die das Eindringen der Technik in

die Natur aus unserer Sicht von der 2 linken Bildseite komponiert, dem klassischen Kulturphänomen,

die Spieler auf die Bühne von links auftreten zu lassen. Analog unserer Schreib- und Lesekultur.

Wobei vom Ort des Bildes oder der Bühne betrachtet, diese natürlich die rechte ist, die zur

gewichtigeren, ja positiven Seite sich entwickelte. Was auch in unsere Sprache heimisch wurde, wie in

der Redensart, er ist seine rechte Hand, oder im Glaubensbekenntnis, er, Jesus, sitzen zur Rechten

Gottes.

Die zentralen, in der hiesigen Ausstellung versammelten Werke gehören zur Werkgruppe ‚Territorien‘,

die sich mit abstrakten, zerstörten Landschaften auseinander- setzt. Ihre Titel - Fracking, Soffwechsel,

Ionisierung, Territorien 22, Raffinerie, Niemandsland, Neuvermessung 1 und 2, Höhenflug, Tuffmose

oder eben Bohrung –, ihre Titel ordnen die Bilder spezifischen Vorgängen dieser Unterwerfung der

Erde zu, wie bei einer Bestandsaufnahme des großen Themas Mensch und Umwelt. Die malerische

 

Ästhetik hält mit kantigen Strukturen und gestaltlosen Flächen die Angriffe des Menschen auf die

Natur bildlich fest, wie in Farbe getrocknete Statements. Im Dualismus des Titels ‚Ein Ort – Kein

Ort‘ schwingt das Prozessuale mit, die Ambivalenz und Dynamik einer Entwicklung, von der man nicht

weiß, ob aus dem Ort, dem Topos, eine Utopie oder ein Unort, eine Dystopie, erwächst, ein wunderbarer

Zukunftstraum oder eine schreckliche Apokalypse, in der eine Überzahl Menschen eine

geplünderte Erde bevölkern, Ergebnis einer imperialen Lebensweise, befördert von uns Ignoranten,

von uneinsichtigen Klima-Gentrifizierern und gierigen Investoren. Doch gerade der Ort im Sinne von

Heimat bleibt grundlegend für die Identität des Menschen. Lernen wir nicht im Sprachunterricht als

eine der ersten Phrasen ‚Ich heiße Hans und komme aus…‘ und fragen wir nicht bald im Gespräch mit

einem Unbekannten ‚Woher kommst Du?‘. Sicher ist es legitim, von den tektonischen Verschiebungen

der Mutter Erde durch die in den Bildern thematisierten und künstlerisch gestalteten Eingriffe oder

Missbräuche der Menschen auch auf die Umbrüche und Verwerfungen in unseren Gesellschaften

selber zu schließen.

Man würde aber die Immanenzen des Paar-Dialogs und die Arbeiten von Dreier und Hanousek

missverstehen, würde man sie allein einer Schwarz-Grau-Weiß-Malerei anheimstellen. So wie die

Injektionsnadel in unserem Körper sowohl das Gift des Fixers als auch die Infusion des

Chemotherapeuten transportiert, so kann das Bohrgestänge einen fossilen Brennstoff, aber auch das

Wasser als Quelle des Lebens fördern. Es sind Bilder des Ringens um diese existentiellen Fragen, die

dennoch bei allen Grautönen einer dialektischen Hoffnung Raum geben, es sind verunsichernde,

mahnende und doch nicht chancenlose Botschaften zweier kreativer Menschen, die in der Sprache

eines gemeinsamen Bildes diesen Diskurs auch mit uns führen wollen. Petra Dreier und Michael

Hanousek, die als ehemalige Meisterschüler der renommierten Kunstakademie Düsseldorf alle

Facetten ihres Metiers beherrschen, stellen sich und ihre Kunst sehr bewusst auf die Bühne des

Künstlerpaares, das Leben und Arbeit unzertrennlich miteinander verknüpft. Was Disziplin, Toleranz

und Dialogkompetenz voraussetzt. Ein ernstzunehmender Dialog, ein auch kontroverses

Zwiegespräch zweier Personen, nicht wie der so genannte Dialog in sozialen Medien, der nur das

Monologische kaschiert. Die beiden Künstler machen es nicht leicht, uns in ihren Dialog mit zunehmen,

ihre Botschaften zu dechiffrieren, selbst die der musikalischen Exegese am heutigen Tage. Doch wir

werden reichlich entlohnt, wenn wir uns darauf einlassen. Das Ergebnis ihrer Reflexionen kulminiert in

ihrer Malerei: das gemeinsame Bild ist ein Dialog in Acryl.

Zur Vergewisserung ihres, wie sie es selber formulieren, ‚kunstidealistischen Ansatzes‘ haben sie sich

früh als Gemeinschaft für Bild-ErHalt / GfBH geoutet, nicht nur programmatisch mit dem titelgebenden

Bekenntnis zur Priorität des Bildes, sondern auch mit einem Gründungsdekret, sich gegen die

visuellen Tsunamis, gegen fremde Zweckbestimmungen und gegen wirtschaftliche Indienstnahmen zu

positionieren. BildErHalt wird zum Haus einer ungewöhnlichen Symbiose. Wobei, wenn ich das

anfügen darf, im Wort BildErHalt mit seiner zwischen Groß -und Klein wechselnden Schreibweise der

Großbuchstabe bei Er aus der genderpolitischen Perspektive überrascht. Der humanistische wie

soziale Anspruch einer verantwortlichen Welt findet nicht nur in ihren künstlerischen Arbeiten

Ausdruck, sondern auch in ihrer Lebenspraxis. Neben ihrer eigenen künstlerischen Arbeit bringen sie

 

ihre Kreativität und Kompetenz mit Erfolg auch in die Arbeit mit Dritten ein: in die von Outsider-Art, die

ihre erste anerkannte Gestalt in der Art Brut in den Nachkriegsjahren gefunden hatte, in die Arbeit also

mit psychisch kranken Menschen in inklusiven Projekten mit der Duisburger Sozialpsychiatrie und im

lernenden Dialog in ihrer Malschule sowohl mit Erwachsenen wie mit Kindern.

Ende gut, alles gut? So hoffe ich, Ihren eigenen Blick auf die Werke in den schönen Räumen der SK

Galerie durch meine Vorbemerkung nicht verstellt zu haben. Und seien Sie versichert, Sie wären nicht

die ersten, die bei intensiver Betrachtung der Bilder auch nach den unsichtbaren Demarkationslinien ,

dem weiblichen oder männlichen Teil des Bildes, dem Dreier oder Hanousek - Aspekt, der Frage, wer

denn zuerst ma(h)lt und wer zuletzt lacht, unbemerkt forschen wollten. Doch womöglich machen Sie

dabei eine ganz andere Entdeckung, dass sich nämlich in jedem einzelnen Bild auch eine leise

 

Liebeserklärung an die Malerei versteckt.


5. Dr. Dirk Tölke, Einführung anlässlich der Ausstellung  "Über die Jahre" im FFFZ Düsseldorf 2014

Dialogkunst

Petra Dreier und Michael Hanousek

 

„Über die Jahre“ ist die Ausstellung im Düsseldorfer FFFZ (29.8. – 10.10.2014) betitelt, d.h. es ist thematisch die Zeit gemeint, die eine Paarschaft von Künstlern miteinander verbringt und die währenddessen das Schaffen verändert. Das ist in der Kunst gar nicht so häufig anzutreffen. Seit 1985 gab es in Bern eine Ausstellungsreihe von Sandor Kuthy zu Künstlerpaaren (Jackson Pollock und Lee Krassner, Robert und Sonja Delaunay, Hans Arp und Sophie Täuber-Arp, Josef und Anni Albers, Camille Claudel und Auguste Rodin ...), an der man sehen konnte, dass Individuen miteinander wohnen und nur teilweise in der Reflexion ihrer Werke miteinander reden und sich symbiotisch abstimmen. Es gab Fälle von Ausbeutung und von Unterstützung in je eigenständigen Oeuvres. Das hat inzwischen ganz andere Formen angenommen und trotzdem bleibt es ungewöhnlich. Es gibt Arbeitsgruppen von Künstlern wie Die Brücke, Blauer Reiter, De Stijl oder Abstraction-creation,, die dann bis zu persönlichen Schwierigkeiten, Rivalitäten oder neuen Zielsetzungen zusammenhalten, was häufig nur wenige Jahre ausmacht. In einer Beziehung, die dann sehr viel fester ist, gibt es unterschiedliche Formen der Bindung und des Verlaufs. Es gibt homosexuelle Paare wie Gilbert und George, bei denen die Zusammenarbeit ungewöhnlich dicht und gemeinsam ist, die sich aufeinander einstellen. In Ehegemeinschaften bleibt das Einzelschaffen meist parallel unabhängig und es gibt vereinzelte Wechselbeziehungen und formale Einflüsse durch die Gemeinsamkeit. In dieser Ausstellung finden sich aber nun Ansätze, eine gemeinsame Arbeit zu gestalten, bei der ein Werk von zwei Händen bearbeitet wird und kein Original eines Künstlers oder eine eigenständige Partie des Werkes mehr herauslösbar ist. Es gibt keine Einzelleistung mehr, was mitunter eine Schwelle darstellt, da eine hohes Bedürfnis nach Unterscheidbarkeit besteht. Bei Paaren besteht außerdem der Verdacht, dass einer der beiden aus Rollenmustern oder Altersgründen ins Hintertreffen gerät. Das mag die Akzeptanz solcher Gemeinschaftswerke auch im Kunstmarkt erschweren. Eine Werkstattarbeit wird geringer geschätzt als ein Künstlereinzelstück. Meist wird vergessen gemacht, dass Künstler Zuarbeiter haben, auch Rembrandt und Rubens gelegentlich nur noch signiert haben und manche Arbeiten ohne die Zusammenarbeit mehrere Gewerke überhaupt nicht entstehen würden. Nur im Filmabspann hat sich eine Tradition entwickelt, jeden Beteiligten zu nennen.

Der Volksmund macht über den Satz „Viele Köche verderben den Brei“ die Zusammenarbeit eher verdächtig und das zeigt, wieviel Vorbehalte gegen solches heute als Teamwork eher gehyptes Handeln bestehen. Inzwischen gibt es auch Versuche größerer Gruppen, Abstimmungsmodi zu entwickeln, etwa  für gemeinsame Rauminstallationen. Braucht es einen Dirigenten, der überwacht und verhindert, dass Hinzusetzungen und Wegnahmen den Ansatz anderer Künstler verändern? Ist derlei nur eine Variante von Zufallsstrukturen? Die Möglichkeiten und Grenzen solcher Gruppenhandlungen ohne Skript oder in Dauerkommunikation werden gerade erprobt. (Künstlerkollektiv „Magicgruppe Kulturobjekt“ - Ludwig Forum für Internationale Kunst, Aachen 3.3.–29.4.2012).

Partnerschaftliche Gemeinschaftswerke sind hingegen auch persönlich schwieriger, weil sie ein Einlassen aufeinander notwendig machen und in jeder Pinselsetzung quasi als Machtspiel begriffen werden könnten. Zwei Beispiele sind nun hier gezeigt: einmal Petra Dreier und Michael Hanousek, deren gemeinsames Werk inzwischen auch eine öffentliche Form bekommen hat durch die Gründung einer GfBH, einer Gemeinschaft für BildErHalt. Im Falle von Franziska und Sophia Hoffmann handelt es sich um ein Geschwisterpaar. Zwei unterschiedliche Varianten an Grundkonstellationen, die sich auch in den Werken ausprägt. Im Falle der Geschwister ist es eine Kooperation und in der Gemeinschaft Dreier-Hanousek handelt es sich um eine Dialogkunst, die sich aufeinander einlässt und einstimmt.

 

Das Thema der Zeit, der Entwicklung, der Zeit, die man braucht, um ein Werk herzustellen, interessiert das Paar Petra Dreier und Michael Hanousek. Gemeinsame Arbeiten gibt es seit 1989 und die Gemeinschaft GfBH gründeten sie 1997. In ihrem Ansinnen gemeinsam auf einem Leinwandträger zu arbeiten hatten sie mit verschiedenen experimentellen Phasen zu tun. Zu Anfang machte jeder ein Bild für sich und man arrangierte die Bilder zueinander, als Mischformen machte der eine Fotos, der andere Malerei, wobei beide beides können. Dann gab es mittig geteilte Werke, bei denen jeder eine Hälfte zu bearbeiten hatte und es um die Vereinbarkeit der Grenze ging. Im gemeinsamen Tun ist dieses Zusammenwirken und die Kenntnis des künstlerischen Denkens des Anderen immer intensiver geworden. Dann hat mit einem gewissen Element der Selbstüberlistung das Internetangebot und Bildbearbeitungsprogramme geholfen, insofern durch Collage digitaler Fragmente etwas zusammen zu arrangieren war. Dennoch ist es ein für beide spannender Prozess geblieben, weil er nicht voraussehbar ist. Durch die lange gemeinsame Arbeit und eine gemeinsame Intention entwickelte sich es eine Art Einverständnis, die es nicht nötig machte, etwa eine Farbpalette vorher festzulegen, sondern sie ergab sich ohne größere Konflikte beim Erwirken der Komposition. Es geht eben nicht um ausbooten oder gewinnen und auch nicht um adaptives Malen oder anpassendes Fälschen der Machart des Anderen. Unter derartigen Aspekten wird die Arbeiten nicht tragfähig und nicht von echter Spannung durchtönt. Entstanden und wirkungsvoll geworden ist ein gemeinsames Intendieren auf einem Leinwandträger oder Fotopapier, dass sicherlich erst durch Zeit „über die Jahre gewonnen werden kann oder in einem resonanzhaften Gleichklang oder einer Akkordharmonie begründet ist, die eine Beziehung langlebig macht. Im Verlauf dieses Prozesses geht es dann natürlich um die Formwahl, um die Entscheidung, ob man herausfordern oder Harmonie in der Zusammenfügung der Elemente erzeugen möchte.

Was nun in der Ausstellung an Fotos und Gemälden zu sehen ist, sind eigentümliche Gefügeräume und Assoziationsräume, in denen Bildgegenstände protolandschaftlich zusammengebracht sind. Diese sind, was die Malerei betrifft, reine Malerei, weil es nicht um ein Thema geht, noch nicht mal besonders um eine Art Stimmungsbild, obwohl bestimmte Atmosphären durch die Farb- und Formbildung entstehen,. Sondern es sind Räume, in denen die klassischen Malereiprobleme Farbe, Form,. Raum, Licht da sind, mit denen man sich beschäftigen muss, da man sie nicht löschen kann.

Es sind frei Gefüge, die auch nicht mehr unter den Partnern geteilt sind. Es ist auch nicht einer für Fotografie und der andere für Malerisches, der eine fürs Grobe und der andere für das feine zuständig. Gegen die Erwartung, dass Männer eher für das Grobe stünden, ist es hier gerade umgekehrt. Es ist natürlich ein Gemisch, eine Collagewelt von Grobem und Feinem, Hell und Dunkel, Groß und Klein. Häufig handelt es sich um Formsegmente, die Teile von etwas sind, die durch Löschung und Übermalung entstanden sind. Wenn man näher herantritt, wird an  an der Dicke der Farbschicht sichtbar, wie gerungen wurde. Bei manchen Werken wurde erst nach zwei Jahren die Lösung für eine unbefriedigende Sequenz des Bildes gefunden, bzw. der Mut aufgebracht, radikal einzugreifen. Daran erkennen auch die Künstler: Das Auge ist weiter, als der Kopf. Man spürt im Sehbaren eine gewisse Unzufriedenheit, weiß aber noch nicht, wie man eingreifen müsste, dass es passt. Ein Assoziationskeim, ein Vorbild mag dabei Auslöser sein, aber man braucht eben den Sprungmut. Es macht den Eindruck, dass man als Paarmaler viel mehr verwirft, als man das als einzelner Künstler täte und der Prozess hat eine andere Intensität des Ringens, bei der zwei Intentionen zusammenlaufen müssen, die eine gemeinsame Leitlinie in der Gestaltung und Raumauffassung verfolgen.

Oberflächlich könnte man den Eindruck haben, das sei collagiertes Bildgeschnipsel , bei näherem Hinsehen merkt man, dass durchaus sehr kalkuliert ausgewählte Elemente, quasi ein Formvokabular Anwendung fand, mit gelegentlich figürlichem Zusammenführungscharakter.

Die Darstellungen sind nicht surreal, phantastisch oder Ausschnitte einer Traumlandschaft, sondern durchaus nüchtern Malerei. Es geht darum, Bilder zu schaffen, die neu sind, etwas von der gegenwärtigen Zeitstimmung transportieren und die Spannungsgeladenheit nutzen, die eine Paarbeziehung aufrecht erhält.

Was beide Künstlergruppen verbindet ist der Blick auf und das Erspüren von Umbruch, von ungeklärtem Zustand der Bildwelt, bei der die Malerei zurückgedrängt wird gegenüber dem bewegtem Bild, Film und Werbung. Es wird schwieriger, die Kultur und Bildungswelt in einer verschwindenden Mittelschicht und Bürgerschaft weiter aufrecht zu erhalten. Die Globalisierung schüttet einen zu und vernichtet Kulturen. Die Antwort der Künstler ist nicht eine apokalyptische Darstellung, eine chaotische Bildüberflutungscollage, die andeutet wie schrecklich es sei, das alles nicht mehr sortieren und einordnen zu können. Sie sortieren es in einer Art vorläufig stimmiger Ablage. Sie finden eine herausfordernde Art der Malweise, die in keine der üblichen Kategorien passt. Es ist weder Landschaft, noch Bühne, d.h. kein Tiefenraumarrangement, noch ist es nur abstraktes Formspiel, auch nicht phantastisch und erzählerisch. Es bildet einen eigentümlich trudelnden Raum, in dem die Elemente zu schweben oder zu driften scheinen. Die Schichtung der Elemente, die durch das Durchscheinende das Werden und das Prozesshafte des Gefüges noch sichtbar machen, hat eher die Anmutung eines flüssigen Gels, in dem die Dinge nach vorn oder hinten treiben. Kaleidoskopartig wäre schon zu dekorativ und ornamental organisiert. Derlei Ordnungsschemata sind unterlaufen ohne chaotisch zu wirken. Durch lange erprobte Kompositionserwägungen und Hell-Dunkelverteilungen ausgewogen, bleiben die eigentümlich geologischen und atmosphärischen Elemente, die auftauchen, im Fluss. Heraklits Panta rhei – alles fließt. Ordnung als Floss im Strom der Zeit gestaltet?

Was in der Malerei erschaffen wurde, bekommt sein Pendant in der Fotografie, die manchmal als Bildelement oder als Skizze dient. Häufiger werden Fotos von Segmenten der Gemälde und ihren frei malerisch gestalteten Formwelten eingebunden. Im ersten Moment hat die Komposition eine gewisse Glaubwürdigkeit als Bühnenraum, bei näherem Hinsehen stellt sich Uneindeutigkeit ein. Was gut funktioniert und abgewogen wirkt, sind Fokusfelder und Schlüssigkeiten an einzelnen Segmenten und Übergängen, aber nicht im Ganzen. Das ist wieder ein Erfahrungsbild dafür, das man in dieser Welt einzelne Dinge kapiert und beherrscht und Gefüge stimmig machen kann, aber anderen nicht. Neben der guten Stube gibt es auch noch die Rumpelkammer, die man lebenslang mitschleppt.

Dieses Gemisch, dies floaten und Gleichzeitige von Geklärtem und Ungeklärtem und die Offenheit für eine Welt, in der Widersprüchlichkeit der Normalzustand ist, das ist der Wahrnehmungshintergrund für das, was wir in diesen Bildern sehen, die den einzelnen aufgrund der Farbe oder Formwelt neugierig machen, um darin einzutauchen und auf persönliche Resonanz stoßen mögen.

 

 Dirk Tölke


6. Dr. Angelika Hille-Sandvoß, Einführung anlässlich der Ausstellung "entlegen" in der Versandhalle Grevenbroich, 2014

                                                                                           

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Frau Dreier, lieber Herr Hanousek,

 

Die Kunst- und Kulturgeschichte kennt einige Paare, die mehr oder weniger spannungsvoll im gleichen Metier künstlerisch tätig waren. Oft beherrschte der Konkurrenzgedanke die Arbeit, musste die Eine zurückstecken, damit der Andere sich entwickeln konnte. Dass dies aber auch ganz anders laufen kann, zeigt der gemeinsame Arbeits- und Lebensweg des Paares, dem die heutige Ausstellung gewidmet ist. Seit der Ausbildung an der Düsseldorfer Kunstakademie, die beide als Meisterschüler abgeschlossen haben, sind sie im Leben ein Paar und arbeiten auch als solches künstlerisch, das heißt, dass sie tatsächlich miteinander an ein und demselben Objekt zu arbeiten bereit sind.

 

Diese besondere Kooperation hat sich über die Jahre hinweg entwickelt. Zu Beginn waren die Leinwände mitunter zweigeteilt, jeder/jede hat „ihren/seinen“ Teil gemalt, immer in Korrespondenz mit den Spuren, die der Partner, die Partnerin hinterlassen hatten. Aber nach dieser Phase sind die beiden einen Schritt weiter gegangen und haben die gesamte Malfläche zur Bearbeitung freigegeben. So hat Petra Dreier beispielsweise mit dem Malen begonnen und ab einem gewissen Zeitpunkt das Bild zur weiteren Bearbeitung durch Michael Hanousek „freigegeben“, der dann das Malwerkzeug quasi an sie weitergereicht hat. Den Endpunkt der Arbeit legt die Ästhetik fest; wenn das Paar keine weitere Entwicklung mehr voraussieht und mit dem Erreichten zufrieden ist. Damit ist der Prozess beendet. Die künstlerisch wechselseitige  Partizipation ist zum Markenzeichen des Künstlerpaares geworden, ja nachgerade zu einer Art „Alleinstellungsmerkmal“ in der Kunst, denn ich kenne kein zweites Paar, dem dies über einen längeren Zeitraum überzeugend geglückt ist.

 

Diese Art der besonders intensiven Kooperation lässt beim Betrachter natürlich die Frage aufkommen, wo denn der unverwechselbare, persönliche Anteil bleibe. Ob man im fertigen Bild die „weiblichen“ und „männlichen“ Anteile aufspüren könne. Ich denke, dass dies vielleicht nur noch den beiden Urhebern gelingt, aber auch dass diese Frage im Grunde falsch gestellt ist. Im abgeschlossenen Bild kann nicht nach femininen oder maskulinen Einflüssen unterschieden werden, denn nur das Gesamtergebnis ist von Interesse.

 

Doch nach so vielen Vorüberlegungen lassen Sie uns nun konkret auf einige der hier ausgestellten Bilder schauen. Das Doppelbild mit dem Titel „Flurstücke 7“ dokumentiert noch die frühe Malweise des Paares. Ihnen beiden standen zwei Leinwände zur Verfügung, die individuell, aber doch auch korrespondierend bemalt wurden. Auf der linken Leinwand dominieren eher strukturierte Flächen, auf denen Pinselspuren für farbige Akzente sorgen. Dagegen antwortet die andere Leinwand mit stärker flächigen Abschnitten, die Strukturen scheinen an den oberen Bildrand gedrängt. Der Titel „Flurstücke“ verweist auf den Ausgangspunkt des Bildes, damit wird an die offizielle Bezeichnung von Landschaft und Natur und an die Vereinnahmung durch den Menschen erinnert. Wiesen, Felder und Wälder sind nicht einfach nur „Natur“ sondern werden Besitzern zugeordnet, die daraus ihren Nutzen ziehen. Aus diesem Kontext wird die Natur hier ganz bewusst befreit.

 

Für das Malerpaar ist die Natur, sind reale Landschaftsausschnitte die Basis seiner Bilder. In einem aufwändigen Abstraktionsprozess wird jede naturalistische Ähnlichkeit getilgt, bis nur noch Fragmente des ursprünglichen Bildes oder Fotos erkennbar sind. Dies gelingt durch die Schaffung verschiedener räumlicher Ebenen, so wechseln sich flächige und stärker strukturierte Schichten miteinander ab; eine Art gemalter Collage.

 

Gut ablesbar ist dieses Verfahren im Bild „Territorium 9“. Details aus diesem Bild zieren die Einladungskarte und haben Sie heute hierher „gelockt“. Der Gesamteindruck des Kunstwerks lässt einerseits an eine Meereslandschaft denken, birgt aber andererseits auch architektonische Fragmente. Die dunklen Flächen in der unteren Bildhälfte sind recht flüssig bis pastos gemalt, scheinen die an Röhren erinnernden Elemente in sich einzusaugen, während die obere Bildhälfte lichte, wenn auch stärker strukturierte Areale aufweist. Gegen die untere Schwere scheint sich nach oben der Himmel zu öffnen.

 

Turbulenteres geschieht auf einem anderen Bild: „Territorium 5“. Was zunächst wie eine Variation von Wellenlinien wirken könnte, wird durch unterschiedlich strukturierte Flächen aufgebrochen. Fragmente von Häusern stehen in Kontrast zu amorphen Gebilden, die den Blick auf eine tiefer liegende Sphäre zu öffnen scheinen. Darüber hinaus und überhaupt bedeuten die Bilder von Dreier & Hanousek Einladungen an den Betrachter, sich auf emotionale Landschaften einzulassen, alltägliche Realität hinter sich zu lassen und das Abenteuer des Schauens zu genießen. Damit aber dieser Ausflug nicht gänzlich haltlos wird, durchzieht eine kräftige grüne Linie das Bild und bietet sich als Halteseil an, den Sturz ins Bodenlose zu verhindern.

 

Ein weiteres „Territorium“, das die Bezeichnung Nr. 4 trägt, weist eine strengere Aufteilung in Farbfelder auf. Auch wechseln pastose Flächen mit Arealen, die stärker strukturiert sind. Eine mögliche Beliebigkeit wird aber durch kompositorische Elemente verhindert. So durchzieht am linken Bildrand eine strenge Vertikale, die an eine Art Röhre erinnert, das Bild. Mit ihr korrespondiert in der rechten Bildhälfte eine etwas diffuse Senkrechte, die wie in Auflösung begriffen scheint, aber allem zum Trotz eine stabilisierende Wirkung entfaltet. Auch die bewusste Reduktion der Farbpalette, die dem Künstlerpaar Dreier & Hanousek eigen ist, wirkt – bei aller Farbigkeit harmonisierend. Den verbreitet auftretenden Schwarz-Weiß-Kontrasten und den damit verbundenen Grauwerten werden stark farbige Akzente an die Seite gestellt, ohne dass die Bilder „bunt“ oder von „schreiender“ Farbigkeit wären.

 

Dies gilt ebenfalls für „Territorium 2“, das eine kräftige Farbigkeit aufweist und von floralen Motiven geprägt ist. Auch hier findet der aufmerksame Betrachter einen Einblick in eine tiefere Dimension, lädt das Bild zum Erkunden emotionaler Bezirke ein.

 

Neben den malerischen Arbeiten hat das Künstlerpaar aber auch eine zusätzliche Technik als Ausdrucksmedium für sich entdeckt: Die digitale Fotografie. Sie wird – laut Aussage des Künstlerpaares - wie die Malerei eingesetzt, das heißt, dass die Komposition aus digitalen Teilen „arrangiert“ wird. Auch der erste Impuls für ein Bild oder ein Foto ist vorgegeben, wird aber individuell weiter bearbeitet, sei es mit Pinsel und Acrylfarben, sei es mit digitalen Fundstücken. Paradigmatisch sei hier auf das Still-Leben verwiesen.

 

Dieses Sujet ist in der Kunstgeschichte ungeheuer beliebt gewesen, konnten doch Künstler wie Auftraggeber hier prunken und schwelgen. Die dargestellten Kostbarkeiten kündeten vom Reichtum des Besitzers und die Delikatesse der malerischen Wiedergabe von der Kunstfertigkeit des Malers. Aber über die Abbildung der Realität hinaus hatte das Still-Leben noch eine zusätzliche Bedeutungsebene, so konnte diskret und dennoch deutlich darauf verwiesen werden, dass aller Besitz flüchtig und jeder Mensch sterblich sei. Daneben gibt es auch andere „geheime“ Botschaften in diesem Sujet, so verweisen beispielsweise Abbildungen von Brot und Weintrauben oder Trinkkelche auf versteckte Andachtsbilder evangelischer Provenienz.

 

Aber darum geht in unserem Beispiel natürlich nicht, obwohl hier natürlich mehr zu sehen ist als Obst und Blumen, die um eine imaginäre Bildachse gespiegelt werden und zwar in doppelter Art und Weise. Die untere Bildhälfte weist dabei deutlich flächigere Strukturen auf, wirkt malerischer und löst damit ein, was mit dem malerischen Einsatz der Fotografie gemeint war. Die schwerelos erscheinende, beinahe ortlose Platzierung eröffnet zusätzliche Deutungsmöglichkeiten und weist damit weit über alltägliche „Knipserei“ hinaus.

 

Die digitale Fotografie wird aber auch zur Abbildung von Paaren in besonderer Weise genutzt und damit schließt sich der Kreis zur speziellen Arbeitsweise dieses Künstlerpaares. Wenden wir uns dem Doppelporträt „Petra und Michael“ zu, auf dem wir unschwer das Künstlerpaar selbst erkennen. Sie haben in der Bildmitte auf einem Graphikschrank mit vielen Schubfächern Platz genommen. Eine Art violette Treppe führt stufenweise aus einem architektonisch bestimmten Ort mit üppig himmlischem Umfeld über das Mittelfeld in einen offenen Phantasieraum. Damit wird dieses Foto zu einem künstlerischen Manifest der besonderen Art. Ausgehend von dem, was sich in der Realität vorfinden lässt, beginnt ein ästhetischer Prozess, an dem das Paar gleichberechtigt beteiligt ist. Und dieser kreative Arbeitsgang mündet in die Öffnung phantastischer Räume, die dem Laien allein nicht zugänglich sind.

 

Ich lade Sie jetzt ein, diese Räume selbst in Augenschein zu nehmen. Das Künstlerpaar freut sich auf anregende Gespräche mit Ihnen.

 Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

 

©Dr. Angelika Hille-Sandvoß


7. Der Dialog bestimmt die Gangart, oder: ein Künstlerpaar als siamesischer Zwilling?

Ein Interview von Gottfried Bohumil mit der GfBH, Düsseldorf 2006

Dreier & Hanousek „GfBH“ (Gemeinschaft für Bild Er Halt)

 

Gottfried Bohumil (GB): Ihr seid zwei Individuen, präsentiert Euer künstlerisches Ergebnis jedoch unter dem gemeinsamen Label „GfBH – Gemeinschaft für Bild Er Halt“. Es widerstrebt Euch, Euer gemeinsames Zusammenspiel dabei auseinander zu dividieren. Setzt Ihr hiermit nicht den Mythos vom einsamen Künstler als „schöpferisches Genie“ außer Kraft?

GfBH: Jede Zeit erfindet ihre eigenen Worthülsen. Die Existenz der einsamen Elfenbeinturmkünstler ist eine verstaubte Fiktion. Die Einsamkeit war und ist sicher kein exklusives Künstlerschicksal. Wenn es um eine Bildfindung geht, spielt das einzelne ICH nur die Rolle des Ideentransporteurs bzw. des Gestalters. Geniekult und Heldenmythos sind Begriffe, die mit Sehnsüchten zu tun haben, sie sind ohne jegliche Aussage. Uns interessiert vor allem, eine Arbeitsform zu entwickeln, in der sich das Schöpferische gegenseitig ergänzt und potenziert und uns über eigene Grenzen gehen lässt. Es mag einfacher sein, alleine für eine Bildtafel zuständig zu sein, als wenn man gemeinsam an einem Bild arbeitet. Das Bild begreifen wir als ein Gefüge, eine Abfolge von mehreren Teilen, die ein Ganzes bildet.

GB: Hierzu kommen mir folgende Verse von Rainer Maria Rilke in den Sinn:
„Wir ahnten es zwar, doch ist es uns niemals vielleicht so deutlich aufgezeigt worden, dass das Wesen der Liebe nicht im Gemeinsamen läge, sondern darin, dass einer den anderen zwingt, etwas zu werden, unendlich viel zu werden, das Äußerste zu werden, wozu seine Kräfte reichen.“Um damit auf Euch zurückzukommen: Kann es in einem derart engen Zusammenleben und Zusammenarbeiten, wie Ihr es pflegt, genug Freiraum für jeden von Euch geben, um ein individuelles Wachsen nicht zu gefährden, um auszu-schließen, dass der Eine nur das Echo des Anderen bleibt?

GfBH: Voraussetzung ist in erster Linie die Toleranz, den Anderen „lassen“ zu können. Darin liegt die Chance, neue Wahrnehmungsräume zu durchschreiten und eigene Wahrnehmungsräume zu erweitern. Das schöpferische Zusammenwirken setzt aber nicht nur die Wahrung der Individualität unbedingt voraus, sondern auch die Dialogbereitschaft.

GB: In der Publikation „Liebe Macht Kunst – Künstlerpaare im 20. Jhd.“ (hrsg. 2002, Böhlau Verlag), entwickelt die Kunsthistorikerin Dr. Carola Muysers u. a. für Euer künstlerisches Zusammenwirken das Modell des „Siamesischen Zwillings“. Sie kommt zu der Schlussfolgerung, dass gerade das „Miteinanderverwachsensein“ einen klaren und bewussten Umgang mit Lebenssituationen erfordert, der sich auf die künstlerischen Projekte auswirkt und eine programmatische Arbeits- u. Lebensführung bedingt.

GfBH: Durch genaues Hinsehen wird sofort klar, dass die Autorenschaft der einzelnen Bildelemente problemlos zugeordnet werden kann, denn wir verheimlichen sie ja nicht. Gerade bei eineiigen Zwillingen ist jedoch die Unterscheidung äußerst schwierig, also bliebe nur die Variante der zweieiigen Zwillinge. Nein, wir wollen Sie nicht auf den Arm nehmen, aber das Sinnbild des Zwillings ist vielleicht insofern nützlich, als dass zwei geistig verwandte und dennoch gänzlich unterschiedliche Menschen den gemeinsamen Blick auf ein Thema richten, dass sich ganz langsam zu einem Bild entwickeln muss. Und das Verwachsensein meint hier den unbedingten Willen, zu einer Bildfindung zu gelangen. Unsere Zusammenarbeit ist kein Programm, denn dies könnte schnell zur Schablone werden. Und da sich der Raum und die Bedingungen permanent verändern, passt die Schablone nach kürzester Zeit nicht mehr. Unsere Zusammenarbeit hat sich durch die Benennung der einzelnen malerischen Merkmale ergeben, also durch Sprache. Plötzlich hatten wir den Eindruck, dass sich unsere gegensätzlichen Positionen ergänzen könnten. Ein Gründungsdekret, eine spielerische Grund-, An- und Vorsatzerklärung haben wir verfasst, in der die GfBH anstrebt, „der Überflutung von Reizbildern entgegenzuhalten, fremde Zweckbestimmungen aus den Bildern herauszunehmen und die Annahme zu korrigieren, dass Teil- und Splitterbilder… Ausschließlichkeitscharakter aufgrund wirtschaftlicher Indienstnahme besitzen“… „In diesem Sinne sieht die GfBH ihrer zukünftigen Zusammenarbeit mit vitalem Bild Er Halt-Trieb erwartungsvoll entgegen.“

GB: Euer Themenspektrum ist sehr breit gefächert. Der erste gemeinsame Katalog zeigt ausschließlich schwarz/weiße Arbeiten, in denen neben Malerei und Fotografie Texte einen breiten Raum einnehmen. Die Arbeiten in einem weiteren Katalog sind dafür umso farbiger und behandeln das Visionäre, das Engelische, wobei die unterschiedlichen bildnerischen Gattungen nach wie vor miteinander kombiniert werden.
Im Katalog „Arbeiten 2000 – 2003“, stehen sich die einzelnen Bildgattungen mehr unvermischt gegenüber, nehmen aber Bezug aufeinander. Neu hinzugekommen sind Themen aus der „Welten- und Beziehungsvielfalt“: Paarwelten, Tierwelten, Landschaftswelten und Sprachwelten, also sehr viel konkretere Themenbereiche. Ihr habt auch Bezüge zur Kunstgeschichte verfolgt. Durch Euer Hauptthema Mensch und Umraum habt Ihr Porträtzitate aufgegriffen wie z.B. die von Bellini, Cranach, Holbein, Leonardo, Vermeer, Velázquez u. a. und versucht diese aus ihrer konkreten Zeitenstehung in einen „anderen“ Kontext zu übertragen, bzw. eine Schnittstelle zur Gegenwart herbeizuführen.

GfBH: Allen Themen haftet der Gedanke an, dass die Mehransichtigkeit bzw. die Gleichzeitigkeit mehrerer Gedankengänge, dargestellt durch das Einsetzen unterschiedlicher Mittel, die Dinge so in Schichten zerlegt und miteinander neu verknüpft, dass eine eindeutige Aussage nicht mehr möglich erscheint. Der feste Boden unter den Füßen schwindet immer mehr, so dass das „Wirkliche“ durch eine andere Wahrnehmungsebene zersetzt wird und droht, nicht mehr erkennbar zu bleiben. Gleich in unserem Gründungskatalog heißt es in einem Bild …“raumgedrehter Blick, gestaucht und gefügt“…, was wohl zu der Arbeit „X-Mal“ geführt hat, in der wir alle uns wichtigen Bildtafeln, Bildträger wie Malerei, Fotos, Zeitungsausschnitte, Texte, ja sogar eine leere Pappe mit einem X versehen haben, um die Gültigkeit des Dargestellten in Frage zu stellen.

GB: Eure künstlerische Zusammenarbeit beschränkt sich nicht auf den eigenen Dialog. Nicht nur in Eurer Malschule „Bilderhalt“ führt Ihr den Dialog über Dritte – die Schüler – weiter, sondern auch in der Arbeit mit psychisch kranken Menschen.

GfBH: Die Gültigkeit des Realen zu befragen haben wir konkret in der „X-Mal“ Arbeit thematisiert, ohne zu ahnen, dass wir sieben Jahre später auf einem viel direkteren Wege mit völlig anderen Realitätsebenen konfrontiert werden. Seit 2004 betreuen wir beim Diakoniewerk für Sozialpsychiatrie in Duisburg eine Malgruppe, die „MALzeit“, Menschen mit unterschiedlichen psychischen Erkrankungen, die über eine ganz andere Wahrnehmung verfügen, in der das Reale vom Zwanghaften, Psychotischen, Wahnhaften überlagert wird, das in die Bilder einzieht und sie eben so besonders macht. Die Erfahrung ist derart grundlegend, dass wir sie überhaupt nicht missen möchten. Der direkte, ungefilterte, unverbildete Zugang dieser Menschen zu Bildwelten ist sehr authentisch und nur bedingt steuerbar, so dass Abenteuer und Wagnis einerseits, Festhalten an Eingraviertem andererseits, beides intensiv, ganz dicht nebeneinander stehen.
In der so genannten „normalen“ Welt läuft es eigentlich ähnlich ab, nur die gestalterischen Strukturen werden bewusster eingesetzt, vom Intellekt stärker gesteuert. Da wir auch Malkurse in unserem Atelier anbieten, ist es überaus interessant, den gestalterischen Vorgang, von der Idee über die Bildfindung bis zum fertigen Bild mitzuverfolgen und bei ähnlichen Themen die beiden Welten zu vergleichen. Wie unterschiedlich die Bilder auch sein mögen, wir besprechen die Ergebnisse mit beiden Gruppen auf gleicher Weise, so dass das Bild immer an erster Stelle steht. So hofft die GfBH, das Bild zu erhalten.

GB: Ich danke Euch sehr für das Gespräch und wünsche Euch außer Bild Er Halt auch Bilder-Trieb und alles Gute für die Zukunft.